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Die Dynamik der Queer-Bewegung in der Türkei

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2013 konnte die Gay Pride in Istanbul noch ungehindert stattfinden.

Die Gezi-Proteste haben der LGBTIQ-Bewegung in der Türkei[1] neuen, nachhaltigen Auftrieb gegeben. Die Geschichte der Bewegung, jedoch, beginnt  spätestens Anfang des letzten Jahrhunderts.

In der Türkei hat der Streit für die Rechte von Menschen mit nonkonformer sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität seit den Gezi-Protesten, bei denen Lesben, Schwule, Bi-, Trans*- und Intersexuelle (Queers) Seite an Seite mit anderen Protestierenden auf die Barrikaden gingen, neuen Auftrieb erhalten. Obwohl in der Türkei Homosexualität nicht unter Strafe steht, sind Repressionen an der Tagesordnung. So wurde die letzte Pride-Parade in Istanbul im Juni 2015 von der Polizei mit Wasserwerfern aufgelöst. Dennoch haben Queers in der Türkei seit der Regierungsübernahme durch die neokonservative AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) immer mehr an Sichtbarkeit gewonnen. Doch wie ist es der Queer-Community möglich, trotz der AKP-Regierung sichtbarer zu werden, politische Forderungen zu stellen und sowohl national wie auch kommunal auf parlamentarischer Ebene zu intervenieren? Ein Blick in die Bewegungsgeschichte der Queers in der Türkei bringt Licht ins Dunkel.

Für Sichtbarkeit und gesetzliche Gleichheit in der gesamten Gesellschaft kämpfen türkische Queer Communities spätestens seit die Türkei mit ihrer Gründung 1923 anfing, sich einem Europäisierungsprozess zu unterziehen sowie Werte und Normen des 'Westens' zu übernehmen. Vor diesem Prozess war Istanbul eine Stadt „sexueller“ Freiheiten, ein Anziehungspunkt für viele osmanische Homo- und Trans-Personen. Auch lebten dort Schwule, die vor allem aus Deutschland, Frankreich und England geflüchtet waren, wo homosexuelle Beziehungen zu Beginn der 1900er unter Strafe standen. In Istanbul, in der europäischenUrningekolonie (Urninge bedeutete früher Schwul) Konstantinopels, wie es Magnus Hirschfeld ausdrückte, existierten damals „historische Stätte homosexueller Vergnügungen“, die freiwillig stattfanden. Hier gab es ein berühmtes Männerbordell, die sogenannte Ottomanische Bank. Dieses Männerbordell wurde von homosexuellen Sexarbeitern ironisch so genannt, weil sie dort gegen etwas Geld die Herren begleiten würden.[2] Es wurde u.a. von europäischen Schwulen besucht, die hier keine Angst vor Anzeigen, Verfolgung oder Gefängnis haben mussten. Mit dem Europäisierungsprozess Ende des 19. Jh.  und Anfang des 20. Jh. im Osmanischen Reich und in der Gründungszeit der Republik Türkei begann auch die Ächtung von Homo- und Transsexualität. Auch wenn in der Geschichte des Osmanischen Reiches und der heutigen Türkei keine antihomosexuellen Gesetze existierten, machten sich Diskriminierungen gegenüber den Queers dort u.a. durch die negativen Einflüsse der europäischen Gesellschaften bemerkbar.

Gegen die zunehmenden Repressionen und Anfeindungen wehrten sich Queers in unterschiedlichen Phasen der Republik. In ihren Kämpfen sahen und zeigten sie, dass sie auf die Solidarität anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen, politischer Parteien und aktivistischer Gruppen angewiesen waren und sind.

Erste Phase - 1970er Jahre

Die Republik Türkei verfolgte von Anfang an das Ziel, die gesamte Gesellschaft zu europäisieren. Eine „moderne“ säkulare, türkisch-nationale Gesellschaft sollte demnach etabliert werden. Eine neue Genderpolitik, die auf der Gleichberechtigung von Mann und Frau basieren sollte, war für die Türkei vorrangig. Frauen sollten emanzipiert werden und in der Gesellschaft sichtbar sein. Abweichung von dem heteronormativen Geschlechtersystem traten angesichts dieses großen Projekts in den Hintergrund und wurden gänzlich ignoriert. Im Gegensatz zu mehreren europäischen Ländern hat die Türkei Homosexualität daher nicht als Straftatbestand eingeführt, sondern die Queers bis in die 1960er Jahre einfach außer Acht gelassen. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten sie z.B. in Theatern, Musik- und Nachtclubs offen auftreten.

Diese Situation hat sich jedoch nach einem Regierungswechsel im Jahr 1974 negativ geändert. In diesem Jahr gewann die Republikanische Volkspartei (CHP) die Parlamentswahlen, musste aber zur Regierungsbildung mit der proislamischen Nationalen Heilspartei (MSP) koalieren. Die MSP übernahm das Innenministerium, in dessen Zuständigkeitsbereich nun die Queers fielen, die jetzt von einer repressiven Politik betroffen waren.

Obwohl die Koalition nur zehn Monate hielt, war das doch Zeit genug, die Queer-Szenen zu zerstören. So wurden etwa massive polizeiliche Repressionen gegen Transsexarbeiter_innen in Gang gesetzt. Es setzte eine systematische Verfolgung ein, in deren Folge die Queers in Istanbul nicht nur aus ihren Arbeitsstätten, sondern auch aus ihren Wohngebieten vertrieben wurden. Wegen der polizeilichen Repressionen bildete sich in Teilen der türkischen Queer-Community eine kollektive politische Identität heraus. Nicht nur in Istanbul, sondern auch in Izmir und Ankara führten Queers einen Existenz- und Emanzipationskampf. Versuche einer queeren Selbstorganisation, wie etwa durch den Aktivisten İbrahim Eren in Izmir, wurden mit dem Militärputsch am 12. September 1980 beendet.

Zweite Phase: 1980er Jahre

In der Folge des Militärputschs wurde die Regierung von der Armee übernommen, die die Aktivitäten zahlreicher Organisationen einschränkte. Auch alle politischen Parteien wurden verboten. Die Demonstrations-, Vereinigungs-, Presse- und Meinungsfreiheit wurden stark beschnitten. Festnahmen, massenhafte Anwendung von Folter und Ausbürgerungen waren an der Tagesordnung. Schulen und Universitäten wurden einem massiven Militarisierungsprozess unterzogen. Das Militärregime bekämpfte in erster Linie linke und rechte Gruppen. Wegen der Repression flüchteten zahlreiche linke Aktivist_innen nach Europa und in die USA, schlossen sich dort antimilitärischen, ökologischen und feministischen Gruppen an, und gewannen Einblicke in die neuen sozialen Bewegungen. Die so gesammelten Erfahrungen prägten später die neuen sozialen Bewegungen in der Türkei, zu denen auch die Queer-Bewegung zählt.

Der Repression des Militärs waren auch die Queers ausgesetzt, z.B. wurden im Jahr 1981 ca. 60 Transsexarbeiter_innen aus den urbanen Bereichen Istanbuls in die Randgebiete „abtransportiert“. Sie wurden erneut, wie in der Hälfte der 70er Jahre, an ihren Arbeitsplätzen im Rotlicht-Milieu oder in ihren Wohnungen festgenommen. Im anschließenden mehrtägigen Polizeigewahrsam wurden sie psychisch und physisch gefoltert.

Am 19. März 1981 verbot das Innenministerium Bühnenauftritte von Männern, die in Frauenkleidern in Nachtklubs arbeiten. Um das Auftrittsverbot umzugehen, führte Bülent Ersoy, die berühmteste Transsängerin der Türkei, am 14. April 1981 in London eine geschlechtsangleichende Operation durch und beantragte ihre Personenstandsänderung. Damit wollte sie als Frau anerkannt werden und nicht als Transvestit. Ihr Antrag wurde zunächst abgelehnt und sie wurde weiterhin als „Mann in Frauenkleidern“ behandelt. Während Ersoy individuell um ihr Recht kämpfte, wehrten sich andere Transpersonen kollektiv, denn die Polizei bedrohte sie direkt in ihrer Existenz und setzte sie Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit aus. Ihre aus dieser Situation heraus entstandenen Proteste führten zur Organisation von Transpersonen, Lesben und Schwulen. Dabei suchten sie Unterstützung bei feministischen, linken Gruppen und Menschenrechtsorganisationen. Sie zeigten sich im öffentlichen Raum, organisierten Demonstrationen gegen die Polizei, protestierten vor dem Arbeitsamt für die Schaffung von Arbeitsplätzen für Transpersonen und sammelten Unterschriften für die Einführung neuer Gesetze zur Legalisierung geschlechtsangleichender Operationen.

Wegen polizeilicher Razzien kam es 1987 zu einem kollektiven Protest, der vor allem von Transsexarbeiterinnen sowie einigen Lesben und Schwulen ausging. Am 29. April 1987 reagierten 37 Transpersonen, Lesben und Schwule mit einem Hungerstreik im Gezi-Park in Istanbul auf die Repression. Die Protestierenden wurden dabei von Nachbar_innen, einigen Künstler_innen und Intellektuellen unterstützt. Dieser zehntägige Hungerstreik wird in der gegenwärtigen Queer-Bewegung als ein Wendepunkt bezeichnet.

Die Dritte Phase – 1990er Jahre

Die 1990er Jahre sind von einem schwul-dominierten Aktivismus geprägt, der eine Institutionalisierung der Bewegung beabsichtigte. In dieser Zeit nahmen die Beziehungen mit westlichen NGOs zu. Unter dem Namen Regenbogen'92 (Gökkuşağı'92) wurde eine Queer- Gruppe gegründet. Aus u.a. finanziellen Gründen musste sie sich kurz danach auflösen. Trotz der Auflösung nahmen einige ehemalige Mitglieder Kontakte zu internationalen Queer-Initiativen auf. Durch die Anregung der deutschen Gruppe „Schwule International“ versuchten sie, 1993 in Istanbul eine Pride anlässlich des Christopher Street Days zu initiieren. Dieser Versuch scheiterte jedoch am Verbot des Gouverneurs von Istanbul. Die geplante Pride würde den Gebräuchen und Werten der Gesellschaft widersprechen, so die Begründung. Dieses Verbot veranlasste unterschiedliche Queer-Gruppen, sich in einer neuen Initiative mit dem Namen „LambdaIstanbul“ zusammenzuschließen. 1994, ein Jahr nach LambdaIstanbul, gründete sich in Ankara die Initiative KaosGL, die ihre politische Arbeit mit einer Queer-Zeitschrift startete.

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre konzentrierten sich diese Gruppen darauf, sich als Vereine und damit als juristische Person zu institutionalisieren. Öffentliche Sichtbarkeit war das Leitthema der Bewegung. Da die sich gründenden Initiativen vor allem von schwulen Aktivisten getragen wurden, und weder Lesben noch Transpersonen sich dort ausreichend vertreten sahen, diskutierten Queers über die Repräsentationspolitik innerhalb der Community. 1995 wurde deshalb die erste lesbische Initiative der Türkei „Töchter von Venus“ (Venüs´ün Kızları) gegründet.

Die Ausdifferenzierungen innerhalb der Bewegung verhinderten nicht, dass die unterschiedlichen Gruppen gemeinsame Aktionen durchführten. Gruppen wie KaosGL, Sappho’nun Kızları (Die Töchter von Sappho) und Bursa Spartaküs haben z.B. zwischen 1998 und 2004 lesbisch-schwule Festtage in Istanbul und Ankara organisiert, die regelmäßig zwei Mal im Jahr stattfanden.

1996 fand die zweite Gipfelkonferenz der UN für menschliche Siedlungen (UN-HABITAT II) in Istanbul statt. Im Rahmen der Vorbereitung wurden in Istanbul „Säuberungsoperationen“ durchgeführt, von denen sozial benachteiligte Gruppen, Menschen mit nonkonformer sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität und Menschen, die aus ethnischen Gründen als bedrohlich oder gefährlich klassifiziert wurden, betroffen waren. Istanbul sollte als eine Metropole erscheinen, in der mittelständige türkische Kleinfamilien leben; ´angemessene´ Wohnflächen und moderne Einkaufszentren existieren. Zusammen mit Straßenhändler_innen, Obdachlosen, Drogenabhängigen wurden Trans- und andere Sexarbeiter_innen aus den Innenstadtbezirken vertrieben. Am stärksten waren die Ülker Straße und ihre unmittelbare Nachbarschaft betroffen. Proteste gegen die Polizeigewalt konnten die Vertreibungen zwar nicht verhindern, doch lenkten sie erneut internationale Aufmerksamkeit auf die Situation der betroffenen Communities.

Die Vierte Phase: 2000er Jahre

Nach ihrer Anerkennung als EU-Beitrittskandidatin auf dem EU-Gipfel in Helsinki 1999 erhöhten sich die internationalen Erwartungen hinsichtlich Reformen zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit, der Lage der Minderheiten und der Zivilgesellschaft. Dies hatte auch für die Queer-Bewegung positive Auswirkungen.

Die Parlamentswahlen vom 2002 führten zur ersten Regierung der AKP. Die AKP erklärte die Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen zum Programm, wofür sie von weiten Teilen der Gesellschaft Anerkennung bekam. Neben der Oppositionsführerin CHP befürworteten auch die Wirtschaft, die Hochschulen, die Zivilgesellschaft sowie die Mehrheit der Bevölkerung den EU-Beitritt. Diese Phase war für die Situation der Queers von Bedeutung. Sie waren bis dahin auf bereits etablierte Organisationen angewiesen, mussten sich entweder als studentische Initiativen, oder unter dem Dach von linken Parteien, wie der Freiheit- und Solidaritätspartei (ÖDP), von Menschenrechtsorganisationen, feministischen Gruppen oder Gewerkschaften organisieren, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht eigene Organisationen und Vereine gründen konnten. Nach der Verabschiedung des neuen Vereinsgesetzes 2004 wurden rasant queere Vereine, als juristische Person, gegründet. 2005 wurden die bis dahin inoffiziellen lesbischen und schwulen Initiativen KaosGL als offizielle Vereine gegründet; 2006 folgte LamdaIstanbul. Beide Zusammenschlüsse waren schon seit den 1990er Jahren gegen die Diskriminierung von Queers aktiv. Diese Entwicklung war ausschließlich dem EU-Beitrittsprozess geschuldet und kein Anzeichen für eine tolerante Queer-Politik der AKP. Das zeigte sich an der Haltung der Partei in der Diskussion um das neue Strafgesetzbuch im Jahr 2004, das im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen verabschiedet wurde. Queer-Initiativen hatten damals Kontakte zu Parlamentarier_innen aufgenommen und sie auf die Notwendigkeit von Reformen der Verfassung und des Strafgesetzes aufmerksam gemacht: die Gesetze sollten um die Merkmale „sexuelle Orientierung und Identität“ ergänzt werden. Diese Forderungen fanden beim Rechtsausschuss des Parlaments Gehör und wurden in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Doch der damalige AKP-Justizminister Cemil Çiçek lehnte eine entsprechende Regelung ab.

Als weiteres Beispiel für die Anti-Queer-Politik der AKP gilt der Prozess gegen den Verein LambdaIstanbul 2006. Muammer Güler, der von der AKP eingesetzte Gouverneur von Istanbul, hatte den Verein wegen „Verletzung der allgemeinen Moral und des Verstoßes gegen die Strukturen der türkischen Familie“ sowie „Verstoß gegen das Vereinsgesetz“ verboten. Im April 2009 wurde das Urteil zugunsten des Vereines aufgehoben. Der Prozess trug wesentlich zur Sichtbarkeit von Queers und zur Solidarität mit ihnen bei.

Die erste Regierungszeit der AKP war somit von Entwicklungen geprägt, die sich sowohl zum Vor- als auch zum Nachteil der Queer-Bewegung auswirkten: Die Bewegung verzeichnete eine sichtbare Mobilisierung, Stärkung und Akzeptanz in der Gesellschaft. Während die AKP immer mehr Wähler_innen gewann, waren die Queers immer öfter im öffentlichen Raum sichtbar und erhoben verstärkt Anspruch auf Gleichberechtigung. Dem Konservatismus der AKP zum Trotz organisierten sich Queer-Gruppen an den Universitäten, im Gesundheits- Arbeits- und Bildungsbereich.

In der zweiten Regierungszeit der AKP, ab 2007, verschärften sich die konflikthaften Berührungen zwischen AKP und Queers. Als Reaktion auf die diskriminierende AKP-Politik und deren Konsequenzen in der Justiz, im Gesundheitswesen und in der Öffentlichkeit bildete sich 2007 das Bündnis aus mehreren Queer-Vereinen und Organisationen mit dem Namen Plattform für die LSBTI-Rechte (LGBTT Hakları Platformu). Sie dokumentiert, publiziert und berichtet jährlich über Fälle von Diskriminierung und organisiert diesbezügliche Veranstaltungen. 2008 forderte die Plattform die grundsätzliche Gleichstellung vor dem Gesetz. Sie verlangte dafür die Änderung des §10 der Verfassung, die die Gleichheit vor dem Gesetz unabhängig von bestimmten Gruppenmerkmalen vorsieht. Die Merkmale „sexuelle Orientierung und sexuelle Identität“ sollten in die Verfassung aufgenommen werden.

Fünfte Phase: Post-Gezi

Das Jahr 2013 ist nicht nur für die Queer-Gruppen, sondern auch für andere soziale Bewegungen und für weite Teile der Gesellschaft ein Wendepunkt. Mit den Gezi-Protesten in Istanbul entstand eine der größten Protestaktionen in der Geschichte der Türkei. Bei diesen Protesten kamen unterschiedliche Gruppen aus unterschiedlichen Bewegungen zusammen. Die Queers waren besonders aktiv daran beteiligt, Widerstand gegen eine neoliberale Stadtpolitik zu leisten. Während der Proteste haben sie einen LSBTI-Block gebildet und aus diesem heraus Demonstrationen, Kundgebungen und Diskussionsveranstaltung organisiert. Der Höhepunkt der Aktivitäten des Blocks war eine Demonstration anlässlich des Christopher Street Days, an dem durch den Einfluss der Gezi-Proteste ca. 100.000 Menschen teilnahmen und gemeinsam gegen die AKP demonstrierten.

Im Zuge der Diskussionen um die Verfassungsreform sowie während und nach den Gezi-Protesten haben politische Interventionen der Queers zugenommen; die Zusammenarbeit mit feministischen, antimilitaristischen, ökologischen, kurdischen Organisationen wurde verstärkt. Politische Parteien wurden intensiver angesprochen.

Hauptziel dieser politischen Arbeit ist es, Gleichheit vor dem Gesetz zu erlangen. Zu diesem Zweck wurden mehrere CHP-Abgeordnete informiert und mobilisiert. Ein wichtiges Ergebnis davon ist die kleine parlamentarische Anfrage des CHP Parlamentariers Mahmut Tanal. Er setzte sich dafür ein, dass in den Diskussionen um Gesetzesänderungen auch Queers berücksichtigt werden. In manchen Parteien wie HDP und BDP wurden Queer-Gruppen gegründet. Auch auf der kommunalen Ebene sind positive Entwicklungen zu verzeichnen, wie z.B. die Einrichtung einer Poliklinik für Queers und Sexarbeiter_innen im Stadtteil Şişli.

Mit und nach den Gezi-Protesten wurden in mehreren Regionen der Türkei zahlreiche neue Queer-Organisationen gegründet. Heute gibt es in der Türkei ca. fünfzig Queer-Organisationen, die Mehrheit von ihnen hat aber noch keinen Status als juristische Person.

Für den Zeitraum von über 13 Jahren, in dem die AKP als alleinregierende Partei die Politik bestimmte, kann festgestellt werden, dass sich die Queer-Community in einer dynamischen Phase befand, in der sie sich in Vereinen organisierte und verstärkt politische Forderungen stellte und größere Netzwerke mit nationalen und internationalen Organisationen bildete. Mehrere politische Parteien haben LSBTI-Rechte in ihre Programme aufgenommen und den Queers auf parlamentarischer Ebene Unterstützung zugesichert.

Trotz der staatlichen Repressionen, die vor allem in der Regierungszeit der AKP vermehrt stattfanden, gelingt der Queer-Bewegung in der Türkei, in unterschiedlichen Phasen neue Allianzen mit verschiedenen Gruppen, Vereinen und Parteien zu bilden und deren Unterstützung auf dem Weg zur Sensibilisierung der Gesellschaft und der staatlichen Institutionen zu gewinnen. In ihrem Kampf gegen die Diskriminierung und um die Emanzipation zeigen sie gleichzeitig die Notwendigkeit von Kooperationen unterschiedlich diskriminierter Gruppen. In diesem Sinne kämpfen die Vertreter_innen der Queer-Bewegung nicht nur gegen Homophobie, sondern auch gegen Sexismus, Rassismus, Behindertenfeindlichkeit und schicht- und milieuspezifische Diskriminierungen.


[1]Dieser Beitrag basiert auf der Studie von Zülfukar Ҫetin, die im Rahmen des IPC-Mercator Fellowship an der Stiftung Wissenschaft und Politik erscheint.

[2] vgl. Magnus Hirschfeld (1914), die Homosexualität des Mannes und Weibes.