Frauen an die Friedenstische – sexualisierte Kriegsgewalt bekämpfen

v.l.n.r Ala Ali, Barbara Unmüßig, Gloria Atiba-Davies und Joumana Seif
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v.l.n.r Ala Ali, Barbara Unmüßig, Gloria Atiba-Davies und Joumana Seif

Der Saal ist voll besetzt am Freitagabend, die Fragestellung bewegt viele:

Wie können internationale Maßnahmen und Frauenorganisationen zu Frieden und Freiheit im Mittleren Osten beitragen?

„15 Jahre nach der Unterzeichnung der UN-Resolution 1325“, stellt Gitti Hentschel, ehemalige Leiterin des Gunda-Werner-Instituts, in ihrer Einleitung fest, „sind Frauen immer noch nicht gleichberechtigt an Friedensverhandlungen beteiligt“. Seit 2000 hat sich wenig verbessert: Mit dem Ukraine-Konflikt rücken Kriege auch geografisch näher an uns in Deutschland heran, Waffenexporte aus Deutschland nehmen zu und umfassen auch Konfliktregionen wie den Irak, Israel, die Türkei und Saudi-Arabien.

Hentschel zitiert Bill Clinton, der nach den erfolglosen Verhandlungen von Camp David resigniert feststellte, eine Beteiligung von Frauen hätte womöglich zu einem erfolgreichen Abschluss geführt, und verweist auf eine globale Studie von UN Women zum Jahrestag der Resolution:

Auf normativer Ebene sind zwar Erfolge der Friedens- und Frauenbewegungen zu verzeichnen. Die konkrete Umsetzung ist aber weniger erfolgreich: Immer noch sind wenige Frauen an Friedensgesprächen beteiligt, oft sitzen patriarchale Männer, teilweise sogar Kriegsverbrecher mit am Tisch.

Immer noch bedroht sexualisierte Gewalt Mädchen und Frauen, aber auch Jungen und Männer, ergänzt Barbara Unmüßig, Mitglied des Vorstands der Heinrich-Böll-Stiftung und Moderatorin der Diskussion.

Wie können Frauen* in Kriegs- und Konfliktregionen unterstützt werden? Welche Handlungsmöglichkeiten haben internationale (Frauen-) Organisationen? Das wird anhand der Präsentationen von drei Expertinnen diskutiert.

Gloria Atiba-Davies, Internationaler Strafgerichtshof

Bild entfernt.Gloria Atiba-Davies leitet die „Gender and Childrens‘ Unit“ am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und vertritt hier Chefanklägerin Fatou Bom Bensouda. Atiba-Davies betont, wie glücklich sie über die Tatsache ist, dass eine Frau dieses Amt innehat.

Bedrohungssituationen und politische Unsicherheit kennt Atiba-Davies aus eigener Erfahrung: Ihre Karriere hat sie als Staatsanwältin in Sierra Leone begonnen. Nach dem Putsch eines Offiziers, gegen den sie einen Strafprozess geführt hatte, musste sie ins Exil gehen und lebte einige Jahre als Asylbewerberin und später als Kanzleigehilfin in New York. Seit zehn Jahren arbeitet sie inzwischen für den Internationalen Strafgerichtshof.

Schon im Fachgespräch am Nachmittag hatte sie eindringlich dargelegt, wie sensibel die Arbeit mit den Überlebenden von sexualisierter Gewalt ist: Angesichts seelischer Verletzungen, Traumatisierung und nicht zuletzt gesellschaftlicher Tabuisierung sexualisierter Gewalt fällt es den Opfern schwer, über das Erlebte zu sprechen.

„Die Unmöglichkeit, über Erlebtes zu sprechen, bedeutet aber häufig eine weitere Traumatisierung und Reviktimisierung. Wir müssen einen Weg finden, mit den Opfern umzugehen. Zentral ist der Schutz der Opfer, nicht nur physisch, sondern auch der Schutz ihrer Identität. Nicht jede_r kann Gespräche mit ihnen führen. Erfahrungen wie eine Massenvergewaltigung sind hochsensibel und brauchen Expertise.“

Im Fachgespräch hatte Atiba-Davies deshalb im Austausch unter Expert_innen einen wichtigen Schritt gesehen, um das Schweigen zu brechen. Nicht zuletzt das Schweigen führe dazu, dass es zu wenige Statistiken zu sexualisierter Gewalt gebe.

Ganz zentral für ihre Arbeit ist auch deshalb die schon genannte Resolution 1325: Mit ihr wurde sexualisierte Gewalt erstmals als Bedrohung der internationalen Sicherheit anerkannt. Mit welchen Maßnahmen und Instrumenten die darin festgelegten Ziele erreicht werden sollen, stellt Atiba-Davies anhand einiger Beispiele dar.

Grundlage für ihre Arbeit sind natürlich internationale Vereinbarungen wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966. Aber, und das stellt bis heute ein Problem dar, um in den Genuss dieser Rechte zu gelangen, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Und an dieser Stelle hakt die Resolution 1325 ein.

Auf ihrer Grundlage können Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt werden, die nach 2002 begangen wurden. Aktuell werden Verfahren zu den folgenden Ländern geführt:

  • Uganda
  • Demokratische Republik Kongo
  • Zentralafrikanische Republik
  • Mali
  • Darfur (Sudan)
  • Libyen
  • Kenia
  • Elfenbeinküste

Vorermittlungen laufen in weiteren Ländern, unter anderem in Georgien.

Dass der Strafgerichtshof ohne eine Anerkennung durch das jeweilige Land nicht dort eingreifen kann, stellt ein zentrales Hindernis für seine Arbeit dar – und auch die Verweigerung jeglicher Mitarbeit durch den Staat kann dazu führen, dass die Ermittlungen eingestellt werden. Einschüchterung und Verschwinden lassen von Zeug_innen, Unterschlagung von Dokumenten; es gibt viele Möglichkeiten, die Arbeit zu behindern.

Welche Rolle können Frauen*organisationen bei der Friedenssicherung spielen? Atiba-Davies nennt verschiedene Aspekte, wie Frauen für Frieden eintreten und eine Vorbildfunktion einnehmen können.

Spätestens seit dem 1. Weltkrieg, so Atiba-Davies, haben Frauen ihre Kinder zum Frieden erzogen und Demonstrationen organisiert. Aktuelle Beispiele sieht sie unter anderem in Burundi und Niger, wo Frauen sich für Friedensbildung und Versöhnung einsetzen, sowie in internationalen Netzwerken wie den Femmes Africaines Solidaires, die sich dem Konfliktmanagement widmen. Für weitere Beispiele verweist sie auf die Nobel Womens‘ Initiative, die jedes Jahr preiswürdige Frauen bekannt macht.

Frauenorganisationen können lokale Bürgerrechtsorganisationen aufbauen: Dazu verweist sie auf Kroatien, wo die gegnerischen Parteien an den Tisch gebracht wurden und so ein öffentliches Forum zum Erfahrungsaustausch gebildet wurde.

Frauenorganisationen können eine Vermittler_innenrolle zwischen Konfliktparteien oder zwischen Zivilgesellschaft und Kriegsparteien einnehmen und so die Grundlage für einen Dialog herstellen. Internationale Netzwerke können auch dazu dienen, dass Erfahrungen aus anderen Regionen genutzt werden. Und: Männer* müssen eingebunden werden.

„Wir als Frauen sollten Männer ermutigen und mit ihnen zusammenarbeiten, um auch männergeleitete Menschenrechtsorganisationen aufzubauen. Ein Wandel nutzt uns allen. Statt alles auf unsere Schultern zu nehmen, müssen wir Männer ermutigen mitzukämpfen.“

Frauen müssen aktiv werden, statt passiv zu leiden – mit diesen Worten leitet sie über zu den Referentinnen Joumana Seif und Ala Ali, die im Anschluss ihre Arbeit vorstellen.

Bild entfernt.Joumana Seif spricht eindringlich über die historische und aktuelle Menschenrechtslage in Syrien und betont ihre Enttäuschung über den Unwillen der internationalen Gemeinschaft, Unterstützung zu leisten. Neben Daten – darunter die unfassbar hohen Opferzahlen, die der Krieg bisher gefordert hat – nennt sie vor allem persönliche Erfahrungen, spricht vom Gespräch mit ihrer Freundin, die schon vor Beginn der Revolution nicht an eine Unterstützung aus dem Ausland glaubte, und von der Haft ihres Vaters. Er habe mit unzähligen Mitgefangenen gesprochen: Trotz Folter bedauere niemand seine Beteiligung an der Revolution.

21.173 Luftangriffe, 11.324 abgeworfene Fassbomben – 47 pro Tag – nennt Seif für den Zeitraum vom 20.10.14 bis zum 20.10.15.; insgesamt gab es bisher 215.000 Tote, 105.000 Vermisste, 14 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Ihr Blick auf die Resolution 1325 ist eher pessimistisch: Resolutionen haben keinen Erfolg, wenn sie nicht bindend sind. Bild entfernt.

Ala Ali spricht aus einer anderen Perspektive: Als einziges Land der Region hat das irakische Kurdistan einen nationalen Aktionsplan zur Resolution 1325 verabschiedet – an sich wunderbar, doch es fehlen die finanziellen Mittel zu seiner Umsetzung. Ähnliches gilt für die häusliche Gewalt: Es existiert ein an sich gutes Gesetz – das jedoch praktisch nicht umgesetzt wird.

Bild entfernt.Sie spricht mit Resignation von den offiziellen Begründungen für die mangelnde Beteiligung von Frauen am Friedensprozess: Es gebe keine Expert_innen, hieße es. „Dabei fehlen vor allem die männlichen Experten“, dafür erntet sie Lacher. Unterstützung benötigt das Land deshalb insbesondere bei der Ausbildung von Fachleuten – und in der Bildung von Kindern und Jugendlichen. Alis Empfehlung an Frauen wie Joumana Seif, denen der Friedensprozess noch bevorsteht? Zwar gelten für jede Region eigene Bedingungen. Sinnvoll sei aber in jedem Fall eine genaue Konfliktanalyse. Den Fokus sollten die Organisationen also auf die Erarbeitung wissenschaftlicher Studien legen: Erst mit der genauen Erkenntnis, wie einzelne regionale Konflikte genau begründet sind, ließen diese sich angehen.

Videomitschnitt der Veranstaltung

Dare the im_possible: Frauen an die Friedenstische - Heinrich-Böll-Stiftung

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