Kindeswohl wird abgeschoben

Feministischer Zwischenruf

Die Aufgabe der Mitarbeitenden von Jugendämtern ist es, das Kindeswohl zu schützen. Die deutsche Abschiebepraxis macht dies aber unmöglich – und verstößt so gegen grundlegende Menschenrechte. Ein Zwischenruf.

ängstlich schauendes kind
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Abschiebung geht vor Kindeswohl. Wollen wir wirklich in einem solchen Staat leben?

Die Aufgabe der Mitarbeitenden von Jugendämtern ist es, das Kindeswohl zu schützen. Die deutsche Abschiebepraxis macht dies aber unmöglich – und verstößt so gegen grundlegende Menschenrechte.

Wie in der deutschen Dominanzgesellschaft gibt es natürlich auch unter jenen, die nach Deutschland geflohen sind, innerfamiliäre Gewalt. Häufig spielt dabei eine Rolle, dass die Familien aus Konflikt- und Kriegsgebieten, wie z.B. Afghanistan, Irak oder Syrien, geflohen sind und schon viel Gewalt erlebt haben. Überfüllte Sammelunterkünfte und eine völlig ungewisse Zukunft wirken dabei noch verschärfend.  Gewalt reproduziert sich. Das ist ein Teufelskreis, aus dem betroffene Familien, egal ob mit oder ohne sogenannten Migrationshintergrund, ohne Hilfe nur schwer entkommen können.

Wenn es in den Sammelunterkünften Sozialarbeitenden oder anderen Zuständigen auffällt, dass Kinder direkt oder indirekt Gewalt erleben - wenn sie es überhaupt mitbekommen und Ressourcen haben zu reagieren -, dann müssen sie das Jugendamt einschalten. Die ohnehin überarbeiteten Mitarbeitenden der Jugendämter bekommen so ein weiteres Arbeitsfeld zugewiesen, in dem ihnen zumeist Sprach- und Hintergrundwissen sowie Kompetenzen im Umgang mit Traumata fehlen. Das sind schlechte Rahmenbedingungen für soziale Arbeit. Das größte Problem aber ist, dass alle betroffenen Familienmitglieder ständig von Abschiebung bedroht sind und es so quasi unmöglich ist, sozialarbeiterisch tätig zu werden.

Eine befreundete Sozialarbeiterin erklärte mir, dass sie nicht mehr weiter wüsste. Mit ihrem Wissen und ihren Kompetenzen könne sie die Kinder nicht schützen. Konkret ging es um eine Familie in einer Sammelunterkunft, in der der Vater die Mutter vor den Augen der Kinder schlug. Eine Option wäre es, die Mutter dazu zu ermuntern, gegen ihren Mann auszusagen und sich von ihm zu trennen. Dafür könnte die Sozialarbeiterin in Deutschland einen mehr oder weniger sicheren Rahmen anbieten. Aber sie kann nicht sicherstellen, dass die Mutter mit den Kindern nicht abgeschoben wird – und dann nach der Abschiebung ungeschützt wieder auf ihren ebenfalls abgeschobenen Mann trifft. Diese Option ist also keine.

Kindeswohl light

Eine andere Option wäre es, die Kinder aus der Familie zu nehmen. Damit würden sie nicht nur vom gewalttätigen Vater, sondern auch von der Mutter getrennt. Es ist aber auch unabhängig davon keine Lösung, denn wiederum kann die Sozialarbeiterin nicht sicherstellen, dass die Kinder nicht ohne ihre Eltern in eine unsichere Zukunft abgeschoben werden. Die Sozialarbeiterin steht – genau wie ihre Kolleg*innen – so immer wieder vor dem Problem, dass alles, was sie gelernt und bisher angewandt hat, nicht funktioniert, wenn alle Familienmitglieder ständig von Abschiebung bedroht sind. Trotzdem muss sie handeln.

Wie in andern Fällen auch versichert ihr der Mann, dass er nicht wieder gewalttätig werden wird. Wie in anderen Fällen auch, will die Frau bei ihrem Mann bleiben. Anders als in anderen Fällen schiebt die Sozialarbeiterin ihre Zweifel an den Aussagen zur Seite. Sie lässt die Familie zusammen. Und sie hofft, dass die Mutter zumindest nicht mehr vor den Kindern verprügelt wird. Die Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit nehmen überhand.