Viele afrikanische Staaten haben sich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Doch deren Umsetzung ist vor allem für Frauen kaum Realität. Gedanken zu sexuellen und reproduktiven Rechten in Afrika.
Die grundlegenden Ursachen für das schleppende Voranschreiten der Emanzipation der Frau und der Gleichberechtigung der Geschlechter in Afrika lassen sich, zumindest teilweise, auf die Widersprüche zwischen den bestehenden Wertesystemen zurückführen. Einerseits unterstreichen die universellen, durch internationale Verträge und nationales Recht geschützten Menschenrechtsgrundsätze, die Freiheit des Individuums und dessen Anspruch auf freie Wahl und Teilnahme an allen Lebensbereichen.
Andererseits räumen Wertvorstellungen und kulturelle Normen, wie sie in den traditionellen afrikanischen Gemeinschaftskonzepten verankert sind, dem sogenannten "kollektiven Interesse" den Vorrang vor den Rechten des Einzelnen ein. Die Tatsache, dass viele afrikanische Gesellschaften tief in religiösen Traditionen wie Christentum und Islam eingebettet sind, macht die Angelegenheit noch komplizierter. Diese verschiedensten Schichten von Werten und Normen regeln nicht nur die soziale Interaktion in den Familien, Gemeinden und innerhalb der Gesellschaft als Ganzes, sondern bestimmen auch, wie sich die Menschen selbst und andere definieren. Die Verfechter der allgemeinen Menschenrechte müssen sich dieser Tragweite von Gemeinschaft und kultureller Identität sehr bewusst sein.
Die Frage nach der Vereinbarkeit dieser vielfältigen Wertesysteme ist im Kontext der Förderung von sexuellen und reproduktiven Rechten für Frauen besonders kontrovers, da diese oftmals als direkter Angriff auf die Moralvorstellungen und das Wohlergehen der Gemeinschaft betrachtet werden. Religiöse, traditionelle Anführer von Gemeinden - die meisten von ihnen männlich - neigen daher dazu, Begriffe wie "Kultur" und "Tradition" dafür zu verwenden, den Status Quo zu wahren und Bestrebungen, Frauen durch politische, rechtliche und soziokulturelle Interventionen mehr Macht zu verleihen, zu unterbinden.
Dabei können sogar einige der Bräuche, die vermeintlich dazu bestimmt sind, die traditionelle Lebensweise aufrecht zu erhalten, die körperliche Unversehrtheit und die Würde der Frau unmittelbar unterminieren und schädliche Folgen für sie haben. Polygamie, Jungfräulichkeitsuntersuchungen, Beschneidungen und andere riskante traditionelle medizinische Praktiken haben zum Beispiel negative Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Frauen und erhöhen deren Anfälligkeit für Krankheiten. Trotz dessen werden Themen rund um die reproduktive und sexuelle Gesundheit von Frauen oft tabuisiert.
Darüber hinaus fördern traditionelle und religiöse Regelungen zur Ehe und zum Gebären, die auf überholten Familien- und Mutterschaftsmodellen beruhen, die gesellschaftliche "Inbesitznahme" des weiblichen Körpers und dessen Fortpflanzungsfähigkeit. Und sorgen damit für die Aufrechterhaltung des Patriarchats und die Unterwerfung der Frau. Wo sogar die staatliche Bereitstellung von sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdienstleistungen auf derartigen Konzepten gründet, wird die ohnehin vielmals schon systematische Abkoppelung zwischen diesen Dienstleistungen und der Realität im sexuellen und reproduktiven Verhalten der Menschen nur noch weiter verstärkt.
Dieser Text ist das Vorwort der November-Ausgabe von "Perspectives Africa: Bodies, Morals and Politics" (englisch).