UN-Mandat zum Schutz von LSBT verlängert: „Der Mandatsträger ist unser Megaphon“

Weltweit sind Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität (SOGI) schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Der UN-Menschenrechtsrat hat deshalb 2016 mit knapper Mehrheit ein neues UN-Mandat für den Schutz vor Gewalt und Diskriminierung aufgrund von SOGI geschaffen. Mit großer Mehrheit wird das Mandat beim 41. UN-Menschenrechtsrat am 12. Juli 2019 verlängert.

Demonstration Megaphon LGBTI

Das Ergebnis steht nach einer hitzigen Diskussion fest: Insgesamt 27 Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrats stimmen für und 12 gegen die Resolution, die das Mandat verlängert. Es enthalten sich sieben Staaten. Vorab haben 54 Länder die Entschließung mitgetragen und sie wurde von 1.312 NGOs aus 174 Ländern der Welt unterstützt.

„Wir brauchen dieses Mandat, weil Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität getötet, gefoltert und verspottet werden“, sagt die UN-Delegierte Argentiniens, die zugleich Mitglied der Kerngruppe ist, die das Mandat bei der Beratung der Resolution im Menschenrechtsrat. auf den Weg gebracht hat „Wir können diese Tatsache nicht ignorieren!“ Die Resolution zur Verlängerung des Mandats wird von einer Kerngruppe von sieben lateinamerikanischen Ländern - Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Mexiko und Uruguay – vorgelegt.

Islamische Länder sprechen Mandat Legitimität ab

Damit richtet sich die Delegierte an die Gegnerschaft des Mandats. Gegen das Mandat sind vor allem Staaten der Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC), mit Ausnahme von Albanien und Tunesien. So sprechen Ägypten, Bangladesch, Katar, Nigeria, Pakistan und Saudi-Arabien dem Mandat die Legitimität ab. Zusammen mit Afghanistan, Bahrein, China, Eritrea, Irak und Somalia sind das auch die 12 Länder, die gegen die Verlängerung stimmen.

Gemeinsam reichen diese Länder zehn Änderungsanträge ein.  Die Gegner kritisieren, dass religiöse, kulturelle, politische und wirtschaftliche unterschiedliche Eigenheiten der Länder nicht in Betracht gezogen würden, dass sich das Mandat in nationale Angelegenheiten einmische, dass eine neue Kategorie von angeblich schutzbedürftigen Individuen geschaffen werde und dass die Begriffe „sexuelle Orientierung“ und „Geschlechtsidentität“ keine Basis in internationaler Menschenrechtsgesetzgebung hätten und daher diese Resolution die Arbeit des UN-Menschenrechtsrats unterminiere.

Gemeinsame europäische Position fehlt

"Wir können Nuancen in den staatlichen Positionen feststellen, die es vor drei Jahren nicht gegeben hätte, wie beispielsweise bei Pakistan“, sagt André du Plessis, Geschäftsführer von ILGA, dem globalen Dachverband für LGBTI-Rechte. Pakistan hat sich kritisch gegenüber der Formulierung SOGI geäußert und jedoch eingeräumt einem Mandat, das sich nur auf Geschlechtsidentität beschränke, zustimmen zu können. „Das ist eine enorme Verbesserung!“ Zugleich gebe es jedoch mit dem Aufstieg nationalistischer, populistischer Bewegungen in Europa, Nord- und Lateinamerika und Asien derartige politische Veränderungen, dass „Orte, von denen wir dachten, dass wir ihnen vertrauen können, dem nicht mehr so ist.“ Bei Europa beklagt Du Plessis das Ausscheren von Ungarn und damit das Fehlen einer gemeinsamen europäischen Position.

Kein künstlich geschaffenes Thema

„Die Resolution fordert die Staaten nicht dazu auf, eine moralische Position zu diesem Thema einzunehmen. Es geht darum, Menschenrechtsverletzungen abzulehnen“, betont die argentinische Delegierte der Kerngruppe bei der entscheidenden Debatte. Der Vorwurf, es handle sich dabei um ein künstlich geschaffenes Thema, das einer bestimmten Gruppe Vorrechte einräumen wolle, wird von zahlreichen Ländern entkräftet.

„Es geht hierbei um die gelebte Realität von vielen Menschen“, betont die Delegierte Südafrikas. Der Rat müsse ein Verteidiger aller schutzbedürftigen Personen sein. In dieselbe Kerbe schlägt Australien: „Das Mandat versucht, Aufschluss über erlebte Gewalt und Diskriminierung aufgrund von SOGI zu geben und dazu Schutzmaßnahmen zu entwickeln.“

Alle Menschen verdienen Schutz

Auch in einer von Dänemark vorgetragenen Erklärung der EU wird beklagt: „Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität werden weiterhin dazu genutzt um ernsthafte Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen.“ Immer wieder fällt in der Debatte der Verweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die die Verpflichtung enthält, alle Menschen zu schützen, inklusive LGBT Menschen. Kulturelle oder religiöse Eigenheiten von Staaten dürften Gewalt und Diskriminierung aufgrund von SOGI niemals rechtfertigen. „Wir sprechen hier über bestehende Rechte, die alle Staaten einhalten sollten“, sagt der Delegierte aus dem Grossbritannien. Es gehe nun darum, eine Welt zu schaffen, in der dieses Mandat nicht mehr gebraucht werde.

Gewalt und Diskriminierung müssen enden

Immer noch kriminalisieren 69 Länder einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen. Zwischen Januar 2008 und September 2018 gab es etwa 2982 gemeldete Morde an trans* und geschlechterdiversen Menschen in 72 Ländern weltweit. In allen Regionen der Welt sind Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt, insbesondere beim Zugang zu Gesundheitsversorgung, Wohnen, Arbeit und Bildung.

„Die tägliche Diskriminierung und Gewalt sind mittlerweile Teil unseres Lebens. Dadurch wird unsere psychische Gesundheit beeinträchtigt, unsere Körperintegrität gefährdet und unser Selbstbewusstsein immer wieder in Frage gestellt“, sagt Paula Marina Sebastião, Aktivistin aus Angola, die zum UN-Menschenrechtsrat gereist war. Für sie ist das Mandat entscheidend dafür, dass sich dies ändert.

Starker Druck von Zivilgesellschaft

„Der Mandatsträger ist unser Megaphon, weil er unsere Geschichten und Realitäten hört und in die Sprache übersetzt, die die Mitgliedstaaten verstehen und auf die sie sich verlassen können“, sagt Micah Grzywnowicz von der schwedischen LGBT Organisation RFSL. „Es ist das erste Mal, dass sich die UNO als Ganzes mit den Realitäten befasst, mit denen unsere Gemeinschaften konfrontiert sind.“
Wie bedeutsam das Mandat für den globalen LGBT Aktivismus ist, veranschaulicht auch Arvind Narrain von der globalen LGBT Organisation ARC International: „Das Mandat ist ein neuer Mechanismus, den Aktivist_innen auf der ganzen Welt nutzen können, um ihre eigenen lokalen Kämpfe voranzutreiben. Als solches ist es ein sehr wichtiges Instrument in den Händen des nationalen, regionalen und internationalen Aktivismus.“

Phase der Konsolidierung

Der aktuelle Mandatsträger, Victor Madrigal-Borloz (siehe Interview mit ihm) hat während seiner Amtszeit zahlreiche Länderbesuche durchgeführt, konstruktive Dialoge mit Ländern in allen Regionen und mit einem breiten Spektrum an Interessengruppen gesucht, bewährte Praktiken identifiziert und Staaten bei der Erfüllung ihrer internationalen Menschenrechtsverpflichtungen in dem Bereich unterstützt. Das Mandat ist Teil der sogenannten speziellen Verfahren („Special Procedures“) der Vereinten Nationen, die zu den wirksamsten internationalen Instrumente zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen zählen. Mit der bestätigten Verlängerung des Mandats um weitere drei Jahre hat das Mandat die Phase der Konsolidierung erreicht.

 

Abstimmungsergebnisse

Dafür: Argentinien, Australien, Österreich, Bahamas, Brasilien, Bulgarien, Chile, Kroatien, Kuba, Tschechien, Dänemark, Fidschi, Island, Italien, Japan, Mexiko, Nepal, Peru, Philippinen, Ruanda, Slowakei, Südafrika, Spanien, Tunesien, Ukraine, UK, Uruguay.

Dagegen: Afghanistan, Ägypten, Bahrein, Bangladesch, China, Eritrea, Irak, Nigeria, Pakistan, Katar, Saudi-Arabien, Somalia.

Enthaltungen: Angola, Burkina Faso, Demokratische Republik Kongo, Indien, Senegal, Somalia, Togo, Ungarn.


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