Ungestört - Tipps für digitale Bildung

Interview

Zum Umgang mit rechten Störungen bei Videokonferenz-Formaten, Interview mit Peps Gutsche, Gegenargument

Seit der Corona-Pandemie versuchen politische Bildner:innen immer mehr digital anzubieten. Doch kommt es auch hier zu rechten und menschenfeindlichen Veranstaltungsstörungen. Bei einem Webinar zur neonazistischen Kleinstpartei III. Weg hat sich kürzlich ein Neonazi zugeschaltet und gestört. Bei einer Veranstaltung mit einem Shoa-Zeitzeugen auf der Plattform ZOOM wurden antisemitische Schilder gezeigt und durch lautes Reinrufen gestört.
Ihr habt bei Gegenargument mehrjährige Erfahrung mit Webinaren zum Umgang mit Hate Speech. Wie schützt ihr eure Webinare vor Störungen?

Wir haben als Gegenargument Anfang 2017 die ersten Webinare zu Hate Speech über GreenCampus, die Weiterbildungsakademie der Heinrich-Böll-Stiftung, angeboten, damals noch über Adobe Connect. Die Zugangsdaten zum Webinar wurden nach Anmeldung per E-Mail an die Teilnehmenden verschickt, ohne weitere Passwortsicherung. Allerdings waren unserer Webinare bei Adobe auch stark eingeschränkt in Bezug darauf, welche Funktionen für die Teilnehmenden freigeschaltet waren – so war eine Beteiligung nicht audio-visuell, sondern nur über den Chat möglich. Das hatte zwei Gründe: Zum einen sind wir so dem Umstand zuvor gekommen, dass Teilnehmer:innen häufig nicht die notwendigen technischen Voraussetzungen hatten, um sich audio-visuell zu beteiligen oder dies auch bei schlechter Internetverbindung störanfälliger war. Zum anderen ging es ja explizit um eine schriftliche Auseinandersetzung in sozialen Medien, also Tweets, Facebook-Kommentare und ähnliches. Daher war uns hier didaktisch die textbasierte Kommunikation wichtig.

Gegenargument im Podcast-Gespräch

Was macht eigentlich Gegenargument? Im Podcast "Hinhören & Handeln" hatten wir die Trainerin Dana Fuchs zu Gast. Gemeinsam besprechen wir, wie man rechten, rassistischen und sexistischen Aussagen im Alltag begegnen, aber auch entgegentreten kann.

Zum Podcast

Wir haben zum damaligen Zeitpunk nicht weiter über den Sicherheitsaspekt in Bezug auf Störungen nachgedacht, sondern eher unsere eigene (Daten-)Sicherheit im Blick gehabt. Viele von uns arbeiten seit Jahren im Bereich der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und wissen von einigen Kolleg:innen, deren persönliche Daten zusammen mit Fotos von ihnen auf rechten Plattformen oder „Feindeslisten“ aufgetaucht sind. Daher war bei uns stärker die Frage präsent, ob wir uns vorstellen können – auch in einem nicht-öffentlichen Webinarraum – mit Bild und Namen aufzutauchen. Hier besteht immer die Gefahr, dass Teilnehmende ohne unser Wissen Screenshots machen und diese gegebenenfalls veröffentlichen. Aus diesem Grund haben sich einzelne aus dem Team entschieden, selbst keine Online-Seminare anzubieten. Im Rahmen unserer Seminarvereinbarungen bitten wir in unseren Webinaren daher zusätzlich darum, dass keine Screenshots gemacht werden – mitkriegen oder gar verhindern können wir es jedoch nicht.

Mittlerweile sind auch Webinare in der Erwachsenenbildung und darüber hinaus sehr viel etablierter und durch die Covid-19-Pandemie sehen sich viele gezwungen, ihre Bildungsveranstaltungen online anzubieten und greifen daher auf Videokonferenz-Software zurück. Gerade ZOOM wird von unterschiedlichen Universitäten und Stiftungen genutzt und stand vermehrt aufgrund von Datenschutz- und Sicherheitslücken in der Kritik. Zudem kam es zu sehr prominenten Fällen vom sogenannten „Zoombombing“, also die Störung einer Videokonferenz oder eines Webinars durch ungewollte und nicht eingeladene Teilnehmer:innen.

Grundsätzlich haben auch wir aufgrund dessen bei unseren Webinaren nachgerüstet und diese sowohl mit einer Passwortsicherung ausgestattet als auch die Funktion aktiviert, dass Teilnehmende vor ihrem Eintritt in den Raum in der Warteschleife gehalten werden. So können wir die Namen der Teilnehmer:innen mit der – idealerweise vorhandenen – Anmeldelisten vergleichen – vorausgesetzt, die Menschen loggen sich mit dem angemeldeten Namen oder einem erkennbaren Kürzel ein.

Und wenn sich jemand unter falschem Namen anmeldet?

Schwierig wird es beim Log-In mit Pseudonymen, da warten wir dann meist die Vorstellungsrunde ab, wie die Person sich vorstellt. Und ob. Wenn gar keine Reaktion kommt, auch nicht auf direkte Ansprache per privater Chatnachricht, und wir können ausschließen, dass es sich um technische Probleme bei der Person handelt, dann entfernen wie die Person aus dem Webinar. In der Regel gibt es dafür bei gängiger Videokonferenz-Software die Möglichkeit, das unkompliziert zu gestalten – bei ZOOM oder gotomeeting beispielsweise, indem man Rechtsklick auf den Namen der zu entfernenden Person im Drop-Down-Menü „Entfernen“ auswählt.

Am Ende ist es wie in Präsenzveranstaltungen auch – es gibt keine Garantie dafür, dass (extrem) rechte Akteur:innen komplett ausgeschlossen werden können. Wenn sich diese mit falschem Namen anmelden, oder uns als Referent:innen oder Veranstalter:innen nicht bekannt sind, ist dies nicht zu vermeiden.

Aber es ist unkomplizierter, Personen rauszuwerfen, als es in Präsenzveranstaltungen der Fall ist?

Ja, das ist der Vorteil von Videokonferenzen: Ein Klick genügt dafür. Ich muss dies nicht mühsam und gegebenenfalls durch körperliche Präsenz durchsetzen. Außerdem muss ich nicht erst mit dem Plattformanbieter wie YouTube oder Facebook in Kontakt treten, um extrem rechte Inhalte oder Personen sperren zu lassen, sondern kann Personen einfach aus Online-Meetings entfernen und ihnen den Wiedereintritt verwehren. Allerdings nur, wenn ich die Warteraum-Funktion aktiviert habe.

ZOOM hat angekündigt, dass es ab dem 26. April möglich sein wird, sogenannte „Zoombomber“ zu melden und gegebenenfalls Accounts zu blockieren, die zur Störung von Online-Meetings genutzt werden. Auch hier ist also mit einer weiteren Hürde für Störer:innen zu rechnen. Bis dahin gibt es verschiedene weitere Handlungsmöglichkeiten. Teilnehmende können stumm geschaltet werden, sodass sie nicht durch Zwischenrufe stören können. Außerdem besteht die Möglichkeit, das Meeting zu verschließen, so dass nach Beginn keine weiteren ungewollten Personen teilnehmen können.

Generell gelten sonst auch hier die gleichen Rahmenbedingungen wie in Präsenzseminaren: Wir stellen am Anfang die Seminarvereinbarungen vor und betonen, dass wir davon ausgehen, dass die Teilnehmenden hier sind, um sich gegen rechte, rassistische, antisemitische und antifeministische Positionen fit zu machen und diesen etwas entgegen zu setzen. Zusätzlich bitten wir um einen sensiblen Umgang mit Sprache. Wenn das von Teilnehmer:innen wiederholt missachtet wird, verstößt das gegen die gemeinsamen Vereinbarungen.

Interessant ist in diesem Fall der Umgang mit der „antirassistischen Ausschlussklausel“. Diese wurde von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin gemeinsam mit dem Kulturbüro Sachsen und Anwält:innen entwickelt, um gegen extrem rechte Wortergreifungsstrategien bei Versammlungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen in geschlossenen Räumen vorzugehen. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich auf diese – wenn auf die Ausschlussklausel bei Einladungen und der öffentlichen Bewerbung für die Veranstaltung hingewiesen wird – bei Ausschlüssen bezogen werden kann. Hier bedarf es weiterer juristischer Prüfung.

Klar ist, dass die Nutzung der antirassistischen Ausschlussklausel bei Online-Veranstaltungen von Zivilgesellschaft und Bildungsanbieter:innen aufzeigt, dass sich diese mit der Option einer möglichen Störung auseinandergesetzt haben. Dies ist auch in digitalen Settings als klare Positionierung zu sehen, die nie schadet, sondern in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Netz mehr als notwendig ist. Dazu gehört auch das Entfernen von Störer:innen, um die weiteren Anwesenden im Webinar zu schützen und diese nicht weiterhin rechten Angriffen und Störungen auszusetzen.

Sollte es trotz aller Vorbereitungen zu (extrem) rechten Störungen kommen, ist es sinnvoll, diese zu melden und sich Unterstützung zu holen.  Wenn ihr nicht wisst, an wen ihr euch wenden könnt, meldet Fälle gern über die bundesweite Meldestelle für Hate Speech. Für Antisemitismus ist hierbei der Bundesverband RIAS ansprechbar und dokumentiert Vorfälle. [1]

Was muss man generell bei Webinaren beachten, um die Daten der Teilnehmenden und der Trainer:innen zu schützen?

Für Anbieter:innen von Online-Veranstaltungen stellt sich die Frage, welche Daten zu welchem Zweck erhoben werden. Hier sollte dem Grundsatz der Datensparsamkeit gefolgt werden, d.h. es sollten nur Daten erhoben werden, die für die Nutzung des Angebots notwendig sind. An ZOOM gab es in der Vergangenheit dahingehend auch berechtigte Kritik. Mittlerweile wurde im Bereich der Datenverarbeitung und -sicherheit nachgerüstet, so dass womöglich für manche Kontexte eine DSGVO-kompatible Nutzung möglich ist. Einen immer wieder aktualisierten Überblick über den Umgang mit Daten bei gängigen Videokonferenz-Systemen und eine Checkliste zu Prüfmaßnahmen zur Auswahl von Software findet sich bei Datenschutz-Generator.

Generell empfehlen wir, Open-Source-Software zu verwenden wie Jitsi, Nextcloud Talk oder Big Blue Button für den Bildungsbereich. Diese haben gegenüber proprietärer Software den Vorteil, dass sie Lock-In-Effekte [2] vermeiden, unterschiedliche Menschen an der Weiterentwicklung beteiligt sind und durchschnittlich höhere Codequalität und Sicherheit bieten. Außerdem werden keine Daten der Nutzer:innen gesammelt und die Datenverarbeitung entspricht, bei Wahl eines vertrauenswürdigen Hosters, der DSGVO. Die Unterstützung dieser Dienste fördert gemeinschaftsorientierte Lösungen statt partikuläre Profitinteressen von Unternehmen.

Zusätzlich zur Auswahl der Software sollten potenzielle Teilnehmer:innen informiert werden, welche Daten von ihnen erhoben und verarbeitet werden. Es sollte daher in der Bestätigung der Teilnahme per E-Mail ein Hinweis aufgenommen werden, wo zum Beispiel angegeben wird, dass zum Zwecke der Teilnahme Name und E-Mailadresse gespeichert werden, und temporär weitere (zu benennende) technische Daten. Außerdem sollte auf die geltenden Datenschutzbestimmungen verlinkt werden. [3]

Grundsätzlich müssen Menschen sich überlegen, welche Daten sie wie mit wem im Internet teilen – oder nicht. Gerade in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, aber auch bei antifeministischen Angriffen und Hate Speech ist es sinnvoll, die eigenen Passwörter sicher zu gestalten und sich zu überlegen, welche persönlichen Daten wie Wohn- oder Arbeitsort einsehbar sind. Denn häufig führen extrem rechte Angriffe im Internet auch offline zu Einschüchterungen und Drohungen.

Viele Präsenzveranstaltungen werden gerade digital umgestaltet und dann meist als Livestreams oder Webinare angeboten. Welche Besonderheiten gilt es hier zu beachten, damit die Angebote erfolgreich sind?

Als wichtigster Punkt ist zu nennen, dass die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden oder Lernenden ganz anders verteilt ist bei computervermittelter Kommunikation. Einen ganzen Tag mit anderen Menschen in einem Raum zusammen zu lernen, oder vor dem Laptop oder dem Tablet sitzend drei Stunden zu verbringen zieht häufig ähnlich viel Energie – und ist nicht dasselbe Lernerlebnis. So braucht es bei digitalen Angeboten mehr visuelle Reize, häufiger methodische Wechsel und eine sehr viel aktivere und motivierende Moderation.

Wenn Menschen das erste Mal digitale Bildungsformate ausprobieren, ist häufig auch die Frustration über technische Probleme groß – sei es, weil die Internetverbindung schlecht ist oder mein Mikrofon nicht erkannt wird. Hiermit braucht es einen einfühlsamen und geduldigen Umgang. Gleichzeitig ist es für die Moderation sehr viel schwerer, einen Eindruck von der Stimmung zu kriegen. Beteiligen sich Personen nicht, weil die Technik nicht klappt, sie gelangweilt sind oder gerade aufgrund von Kinderbetreuung abwesend? Das ist häufig nicht klar und erschwert eine teilnehmendenorientierte Seminargestaltung.

Außerdem braucht es ein Verständnis davon, was die aktuelle Corona-geprägte Zeit für viele bedeutet. Wenn ich aufgrund von Home Office vier Stunden Telefonkonferenzen hinter mir habe, habe ich vielleicht auch einfach keine Lust mehr, auf einen Bildschirm zu starren oder mit anderen in den Austausch zu gehen. Hier eignen sich Live-Formate sehr viel weniger als asynchrone Bildungsangebote wie Selbstlernkurse oder Videoaufzeichnungen mit Reflexionsfragen, die ich in meiner eigenen Zeit ansehen und abspielen oder bearbeiten kann.

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Habt ihr noch weitere Tipps für digitale Bildung?

Jetzt, wo viele Bildungsanbieter:innen und Organisationen faktisch gezwungen sind ihre Angebote zu digitalisieren, wird viel von Tools und Technik aus gedacht. Der erste Ansatz sollte aber immer sein, solide didaktische Konzepte zu entwickeln und hier eher mehr Zeit in eine gute Vorbereitung zu stecken, statt sich auf technische (Un)Möglichkeiten zu fokussieren. Hier gelten die gleichen Grundsätze wie in der „analogen“ Bildungsarbeit: Als erstes entscheide ich mich, welches Lernziel mit welchen Inhalten erreicht werden soll, bevor ich an die Auswahl der möglichen Methoden gehe.

Zusätzlich würde ich mir manchmal mehr Kreativität in den Bildungsformaten wünschen. Viele Organisationen und Stiftungen bieten beispielsweise sehr klassisch Vorträge oder Podiumsdiskussionen als Bildungsformate an. Diese sind aber meist wenig partizipativ, weder in Präsenz noch digital. Hier kann man jetzt auch mehr rumexperimentieren – mit unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten über Chatfunktionen, Pads oder kollaborative Gruppenformate.  Organisationen kennen ihre Zielgruppe selbst am besten, um zu wissen, was man ihr zutrauen kann – aber auch, wie diese aktiviert werden kann, Neues auszuprobieren.

Außerdem ist einiges an Software für Bildungsformate sehr viel einfacher selbst einsetzbar, als viele denken – Fragen von Datenschutz und technische Möglichkeiten der Zielgruppe im Hinterkopf behaltend. Muss es zum Beispiel wirklich ein auf Video aufgezeichneter Vortrag auf YouTube sein, oder lässt sich auch ein digitaler Stadtrundgang zum Beispiel mit ActionBound entwickeln, so dass sich in Zeiten von Social Distancing Bildung mit einem Spaziergang verbinden lässt?

Vielen Dank!

Verweise:

  1. Diese haben auch eine Übersicht über bisher bekannte Vorfälle antisemitischen Zoom-Bombings angelegt. zurück
  2. Lock-In-Effekte beschreiben die enge Kundenbindung und Abhängigkeit eines Produkts, so dass ein Produktwechsel nicht ohne finanziellen oder weiteren Aufwand möglich ist. zurück
  3. Beispielsweise hat ZOOM mittlerweile eine ausführliche Auflistung darüber veröffentlicht, welche Daten von Ihnen erhoben werden. zurück