Antiasiatischer Rassismus - erst seit der Corona-Pandemie?

Antiasiatischer Rassismus? Ja, er existiert. Vor Corona und währenddessen ganz besonders.

Protest gegen antiasiatischen Rassismus

Seit Beginn der globalen Corona-Pandemie leben asiatisch-gelesene [1] Menschen außerhalb Asiens in vermehrter Angst. Von rassistischen, auf Corona bezogene Beleidigungen bis hin zu körperlichen Übergriffen, Racial Profiling und Mikroaggressionen im Alltag. Doch antiasiatischer Rassismus ist nichts Neues. Einerseits wird er in den weißen Massenmedien verschwiegen, anderseits wird er aber auch von diesen weiter angefeuert.

(Niemals) Vergessene Vergangenheit

Bei dem ersten dokumentierten rassistischen Mord in der BRD trugen die Medien eine gewisse Mitschuld. Am 22.08.1980 übten drei Mitglieder der Terrorvereinigung Deutsche Aktionsgruppe einen Brandanschlag auf ein Geflüchtetenheim in Hamburg aus. Ausgangspunkt für sie war ein Artikel vom Vortag im Hamburger Abendblatt, in dem der Pressesprecher des Senats sich über die Überlastung durch Asylbewerber [2] beklagte, die laut dem Artikel auf Staatskosten untergebracht wurden. Dort wurde auch die Adresse des provisorischen Wohnheims veröffentlicht, das zu der Zeit von Vietnames*innen und Sinti*zze und Rom*nja bewohnt war. Dabei starben die zwei vietnamesischen Geflüchteten Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân [3].

Mehr als zehn Jahre später spitzte sich die medial beflügelte „Asyldebatte“ bei dem Pogrom vom 22. bis zum 26.08.1992 zu: In Rostock-Lichtenhagen werden die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) und das benachbarte Wohnheim, auch als „Sonnenblumenhaus“ bekannt, für vietnamesische Asylbewerber*innen von rechtsextremen Gewalttäter*innen angegriffen. Tagelang jubelten Anwohnende mit und unterstützen die Täter*innen — solange, bis Polizei und Feuerwehr einfach aufgaben.

Wenn Gender und Rassismus sich kreuzen

Auch später geriet die Polizei erneut in die Schlagzeilen: Die Vergewaltigung und Ermordung der chinesischen Studentin Li Yangjie am 11.05.2016 in Dessau zeigt, dass der Diskurs sich vor allem um die Verstrickung des Täters und der Mittäterin mit der ermittelnden Polizei drehte. Dies erinnert an Fälle wie Oury Jalloh, der am 07.01.2005 ebenso in Dessau in Polizeigewahrsam starb. Das Wort „Rassismus“ fiel bei Li Yangjie dennoch selten. Noch seltener wird hier in Betracht gezogen, dass es einen Zusammenhang zwischen der sexuellen Experimentierlust des Täters und dem stereotypischen Bild der unterwürfigen und hyperfemininen asiatischen Frau geben könnte — ein intersektionales Tatmotiv, das in Anbetracht von sexualisierter Gewalt an Frauen of Color mehr unter die Lupe genommen werden sollte.

Ein aktuelles Ereignis verdeutlicht die intersektionale Perspektive noch eindringlicher: Am 16.03.21 wurde in Atlanta im US-Staat Georgia ein Attentat ausgeübt. Acht Menschen starben dabei, sieben davon Frauen, sechs davon asiatisch-gelesene Frauen. Der weiße Täter wählte gezielt drei Massagestudios aus, da er nach Presseangaben eine „Sexsucht“ hatte und so die „Versuchung“ eliminieren wollte. Die ermittelnde Polizei begründete seine Tat außerdem damit, dass er bloß „einen schlechten Tag“ hatte und ein rassistisches Motiv auszuschließen sei.
Dass es sich hierbei um Misogynie und antiasiatischem Rassismus (und eventuell Klassismus) handeln könnte, war aus Sicht der ermittelnden Polizei undenkbar, was hinsichtlich der asiatisch-amerikanischen Geschichte paradox und zugleich logisch erscheint.

Die Angst vor der „gelben Gefahr“ („Yellow peril“)

Die Angst vor der „gelben Gefahr“ ist maßgeblich an den asiatischen Stereotypen beteiligt, die bis heute wirken und die Realität asiatisch-gelesener Menschen beeinflussen. 1875 wurde der Page Act verabschiedetet, der die Einwanderung von asiatisch-gelesenen Frauen, speziell Chinesinnen, verbot. Begründet wurde dies mit potenzieller „unmoralischer“ und „unzivilisierter“ Prostitution durch diese. Weitere Gesetze verboten auch anderen Asiat*innen die Einwanderung in die USA, da eine zunehmende Bedrohung durch Arbeitsmigrant*innen wahrgenommen wurde. Gleichzeitig gab es eine weiße Angst vor einer Auflehnung Asiens, sodass das Konstrukt der „gelben Gefahr“ bzw. dem „Yellow Peril“ auch in Europa und Deutschland vorzufinden war, da diese sich in ihren Kolonial- und Imperialismusvorhaben bedroht fühlten. Während der amerikanischen Expansionsphase im 20. Jahrhundert in Asien wurde das Bild der sexuell verfügbaren, unterwürfigen asiatischen Frau noch verstärkt: Viele kennen die bekannte Szene aus dem Kriegsfilm Full Metal Jacket (1987), bei dem zwei weiße US-Soldaten von einer vietnamesischen Sexarbeiterin mit den Worten „Me so horny“ verführt werden.

Die starke Feminisierung betrifft nicht nur asiatische Frauen: Generell werden asiatische Menschen durch mediale Stereotype und Mythen als eher weich, feminin, gehorsam und ruhig gesehen. Dabei spielt nicht nur uraltes kolonial-rassistisches (gegendertes) Othering eine Rolle, sondern auch der Model-Minority-Mythos.

„Den tüchtigen Asiat*innen geht es doch gut, sie beschweren sich nie.“

Im deutschen Sprachraum kennt man den Begriff der „Model minority“ weniger, aber wir alle kennen das (mediale) Bild des ehemaligen vietnamesischen Mitschülers, der nun in irgendeiner Naturwissenschaft ganz viel Geld verdient. Das positiv rezipierte Narrativ einer braven, fleißigen, zurückhaltenden und freundlichen asiatischen Person bleibt rassistisch und spielt im Hinblick auf antiasiatischen Rassismus eine entscheidende Rolle. Antiasiatischer Rassismus wird dadurch unsichtbarer, da angenommen wird, asiatischen Menschen ginge es gut, sie beschweren sich schließlich nie und können offensichtlich Karriere machen. Vor allem in den USA leben viele Asiat*innen in der (oberen) Mittelschicht, sodass sie von der weißen Mehrheitsgesellschaft unter den rassifizierten Gruppen relativ anerkannt sind, da sie mit ihrer „harten, klaglosen“ Arbeit zur Wirtschaft beitragen. Dies ist jedoch eher ein Argument für den vorherrschenden Klassismus, als gegen antiasiatischen Rassismus. Dabei sollte man bedenken, dass das Mittelschichtsstreben und der soziale Aufstieg durch Bildung für viele asiatische (Post-)Migrant*innen eine Möglichkeit ist, Rassismus ihnen gegenüber zu vermeiden, was nicht bedeutet, dass er dort nicht trotzdem vorkommt [4]. Hinzu kommt, dass diskursiv auch in Deutschland diese asiatischen „Musterschüler*innen“ oft hoch angepriesen werden, was die Solidarität zwischen rassifizierten und (post-)migrantischen Gruppen schwächen kann. So wird meist ein fehlender „Integrationswille“ oder „Faulheit“ als Argument für diskriminierende Abgrenzungsstrategien genannt.

Der Model-Minority-Mythos ist damit einer der Gründe, wieso antiasiatischer Rassismus nicht ernstgenommen wird. Lilly Becker schaffte es letztes Jahr bei Schlag den Star nicht, ihre rassistischen Kommentare zu einem chinesischen Politiker zu reflektieren, obwohl sie sich doch öffentlich solidarisch zu George Floyds Tod zeigte. Doch asiatisch-gelesene Personen haben in ihrer Antirassismus-Vorstellung keinen Platz.

Auch Bayern3-Moderator Matuschik konnte sich im Radio unbekümmert über die koreanische Popband BTS beschweren und diese mit einem Virus gleichsetzen. In der offiziellen Stellungnahme des Senders wurde Rassismus verneint, Matuschik setze sich doch viel für soziale Projekte ein. Diese Beispiele zeigen, dass antiasiatischer Rassismus in deutschen Massenmedien verharmlost wird.

(Verharmloster) Anti-asiatischer Rassismus und Corona

Die Corona-Pandemie und der Mythos, dass China das Ursprungsland des Virus sei, motivieren antiasiatischen Rassismus auch in Deutschland. Die (post)migrantische Selbstorganisation korientation hat eine Sammlung ins Leben gerufen, die eine kritische Perspektive auf die deutsche COVID-19-Berichterstattung ermöglicht . Dabei wird deutlich, dass die Medien das verzerrte Bild verbreiten, das Corona und asiatische-gelesene Personen automatisch im Zusammenhang stehen.

Dies hat reale Folgen für asiatisch-gelesene Menschen, auch in Deutschland. Die Plattform Ich bin kein Virus veröffentlicht Erfahrungsberichte Betroffener, die vor allem im Zusammenhang mit Corona Rassismus erleben und bietet, wenn möglich, auch weiterführende Hilfe an . Ein Beispiel, das es aufgrund der Absurdität in die Presse schaffte, war im April 2020: In der Berliner U-Bahn wurde ein koreanisches Pärchen Corona-bezogen beleidigt, bespuckt und angegriffen. Die Tat wurde unter Gelächter gefilmt und von der Polizei (vorerst) nicht als rassistisch eingestuft. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erkennt einen Anstieg an antiasiatischem Rassismus seit Anbeginn der Pandemie in Deutschland. Bereits im Mai 2020 betrug die Hälfte der Anfragen im Zusammenhang mit der Pandemie ein rassistisches Motiv bzw. bezogen sich auf den ethnischen Hintergrund von Personen. Die Dunkelziffer der tatsächlichen Ereignisse liegt sicherlich höher und bedarf weiterer, bereits angestoßener Analysen.

Es wird deutlich, dass antiasiatischer Rassismus vielschichtig und sehr komplex ist. Eine Differenzierung kann im Kampf dagegen helfen. Speziell Gender, Klasse und der Model-Minority-Mythos beeinflussen vermeintliche Vor(ur-)teile innerhalb der betroffenen Gruppe und tragen zur Unsichtbarmachung von antiasiatischem Rassismus bei. Die Corona-Pandemie stellt dabei asiatisch-gelesene Personen vor besondere Herausforderungen. Wir können die Pandemie aber auch als Chance nutzen, unterrepräsentierte Stimmen und Erfahrungen mehr in den Vordergrund zu rücken, Solidarität auszudrücken und Empowerment zu schaffen.

Weiterführende Plattformen, Organisationen, Vereine und Podcasts:

•    #IchBinKeinVirus
•    korientation
•    Tiger.Riots
•    DAMN*
•    Asian Germany
•    Asian Voices Europe
•    Rice & Shine (Podcast)
•    Halbe Katoffl (Podcast)
•    Bin ich Süßsauer? (Podcast)
•    anderssein (Podcast)


[1] Wer oder was als „asiatisch“ gelesen wird, ist kontextabhängig. In Deutschland und den USA bezieht es sich meist auf ost- und südostasiatische „Merkmale“.

[2] Aufgrund der Zitation wird an dieser Stelle nicht gegendert.

[3] Mehr dazu hier und hier 

[4] Mehr dazu hier