Für Sicherheit sorgen: Care ins Zentrum einer Antifaschistischen Wirtschaftspolitik

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Die aktuellen multiplen Krisen gehen mit Sicherheitsbedrohungen einher. Die Klimakrise bedroht Gesundheit, Infrastruktur und Ernährung. Die wachsende soziale Ungleichheit bedroht unsere Demokratie. Trotzdem wird in Debatten über Sicherheit ausschließlich über Aufrüstung und Abschottung gesprochen. Sicherheit wird als ein passiver Zustand verstanden, der nur über die Abwehr von einer vermeintlichen Gefährdung erreicht werden kann. 

Illustration: Vor rosa Grund ist ein ist ein grüngelber Schirm.

Sicherheit ist Care

Es gibt jedoch ein erweitertes feministisches Sicherheitsverständnis, das diesen staatlichen und militärischen Sicherheitsdiskursen eine aktive und gestaltende Politik sozialer Sicherheit entgegensetzt. Es ist ein Sicherheitsverständnis, das menschliche (Subsistenz-)Bedürfnisse und deren Befriedigung ins Zentrum stellt. Es fragt danach, wie wir ein gutes Leben für alle herstellen und schützen können. Oder anders formuliert: Wie eine Gesellschaft gestaltet werden kann, in der sich alle Personen gut umeinander kümmern, also Sorgearbeit leisten können.

Denn allen Menschen ist gemeinsam, vom ersten bis zum letzten Tag ihres Lebens von der Sorge anderer abhängig zu sein. Wenn Sicherheit aus einer Care-Perspektive verstanden wird, dann sind alle Faktoren, die die Ausübung von Sorgearbeit verhindern oder erschweren, ein Sicherheitsrisiko für das Leben. Dabei meinen wir jede Form von Sorgearbeit: von Sorgearbeit für sich selbst bis Sorge für den Planeten, im Privaten ausgeführte Sorgearbeit oder öffentlich finanzierte Sorgearbeit, in Form staatlicher Wohlfahrt. 

Sorge in unsicheren Zeiten

So verstanden, leben wir in einer sehr unsicheren Gesellschaft. Nicht nur führen neoliberale Sparpolitiken in den Bereichen von Gesundheit, Infrastruktur, Bildung und sozialer Sicherung zu prekären Lebensverhältnissen und zu einer Verlagerung von Sorgearbeit ins Private. Auch die militärische Aufrüstung, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und die Klimakatastrophe führen zu Strukturen, die Sorgearbeit extrem beeinträchtigen.[1] Zusätzlich findet die geleistete Sorgearbeit, sowohl die bezahlte als auch die unbezahlte, derzeit unter denkbar schlechten strukturellen Bedingungen statt.

Sorgearbeit zu leisten, erhöht zurzeit das Risiko eines prekären Lebens. Menschen, die Sorgearbeit ausüben, werden entweder gar nicht oder schlecht bezahlt. Wer viel unbezahlte Care-Arbeit leistet, kann nur in Teilzeit oder gar nicht für Lohn arbeiten und ist damit abhängig von zunehmend repressiven staatlichen Leistungen oder Partner*innen. Die Abhängigkeit von letzteren bildet ein weiteres Sicherheitsrisiko, denn die Zahlen von häuslicher Gewalt sind in den letzten Jahren angestiegen.[2] Auch langfristig gibt es negative Folgen für Personen, die viel unbezahlte Sorgearbeit übernehmen, denn aufgrund von fehlenden Rentenpunkten sind die Rentenzahlungen gering und das Risiko für Altersarmut steigt. 

Sparpolitik als Treiber des Faschismus

An all diesen Krisen hat die vergangene und derzeitige Wirtschaftspolitik einen riesigen Anteil. Welche Sicherheit für wen geschaffen wird, ist deswegen auch ein wirtschaftspolitisches Thema. Seit der neoliberalen Wende in den 1980er Jahren verfolgen unternehmensnahe Regierungen einen Kurs der Deregulierung, Privatisierung und eine Rücknahme der Rolle des Staats. Diese Politik hat zu einer Umverteilung von unten nach oben geführt und so einer stark steigenden sozialen Ungleichheit.[3] Gespart wird an Sozialausgaben. 

Diese Art der Politik wird auch Austeritätspolitik genannt. Sie führt nicht nur zu einem Sicherheitsrisiko für die Ausführung von Sorgearbeit und damit für das Leben vieler Menschen, sondern auch zu einer fortschreitenden Faschisierung. Denn bereits in den 1930er Jahren gab es eine ähnliche Art der Sparpolitik. Nach Ansicht der Ökonomin Clara Mattei ist Austeritätspolitik ein bedeutender Treiber des Faschismus. In ihrem Buch „Die Ordnung des Kapitals“ untersucht sie, wie die heutigen Sparpolitiken ihren Ursprung im Großbritannien und Italien in der Zeit zwischen den Weltkriegen hatten. Dabei zeigt sie, dass Wirtschaftswissenschaftler als Reaktion auf starke Arbeiterbewegungen neue politische Konzepte entwickelten, um die Bevölkerung zu kontrollieren und Hoffnungen auf soziale Veränderungen zu unterdrücken. Auffällig ist, dass so unterschiedliche politische Systeme wie der britische Liberalismus und der italienische Faschismus dabei auf ähnliche Maßnahmen setzten: Sparpolitik. Mehr noch: Liberale akzeptierten sogar die Gewalt der Faschisten als letztes Mittel, um ihre gemeinsamen wirtschaftlichen Ziele durchzusetzen.

Die Ökonomin Isabella Weber vermutet, dass zudem die wachsende Ungleichheit aufgrund globaler Auswirkungen der neoliberalen Wirtschaftspolitiken dazu beiträgt, dass rechte Parteien Zulauf erhalten. Sie bezieht sich dabei auf Umfragen, die zeigen, dass infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und des darauffolgenden Preisschocks der Energiepreise die Zustimmungszahlen für die AfD in die Höhe gingen.[4] Rechte Politik erhält ihrer Einschätzung nach dann Zulauf, wenn Menschen das Gefühl haben, die Kosten globaler Krisen tragen zu müssen, ohne von den Gewinnen zu profitieren. Ebenfalls kann die derzeitige Wirtschaftspolitik für den Vertrauensverlust in die Demokratie in Deutschland (mit)verantwortlich gemacht werden, da laut der Soziologin Uta Meier-Gräwe Sparmaßnahmen in der Bevölkerung zu einem Gefühl der „sozialen Entsicherung“ führen.[5]

Antifaschistische Wirtschaftspolitik gegen Unsicherheit

Wie kann also Wirtschaftspolitik so gestaltet werden, dass anstatt einer „sozialen Entsicherung“ und einer Bedrohung der Demokratie durch den Faschismus eine positive soziale Sicherheit geschaffen wird?

In letzter Zeit wurden vermehrt Stimmen laut, die eine antifaschistische Wirtschaftspolitik fordern. Diese soll dem realen sozioökonomischen Abstieg vieler Menschen und den Ängsten davor etwas entgegensetzen. Und damit auch der Instrumentalisierung dieser Ängste von rechts. Eine antifaschistische Wirtschaftspolitik bewirkt, dass die existenziellen Lebensgrundlagen bezahlbar sind und ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird. Dabei geht es über bezahlbaren Wohnraum, Energie- und Lebensmittelpreise bis hin zur Erhöhung der Löhne.[6] Es geht außerdem um den Umbau zu einer nachhaltigen Industrie und um massive Investitionen in öffentliche Infrastrukturen (Schulen, Krankenhäuser, Brücken, etc.). [7] Dass dieser Ansatz zumindest für den Gewinn von Wahlen funktionieren kann, zeigt der frisch gewählte Bürgermeister Zohran Mamdani in New York. Sein Wahlkampf war fokussiert auf jene Probleme, die die Menschen in New York in ihrem Alltag belasten: Zu teure Wohnungen, zu teurer Nahverkehr und fehlende staatliche Unterstützungen. 

Wirtschaft neu ausrichten…

Laut der Ökonomin Isabella Weber lässt sich die Demokratie in Deutschland nicht durch inhaltliche Diskussionen über ihre Rettung bewahren. Sie kann nur durch eine materielle Politik gesichert werden, die ein gutes Leben für alle mit wirtschaftlicher Stabilität und Sicherheit gewährleistet. [8]

Damit sind die Forderungen der antifaschistischen Wirtschaftspolitik nah an den Ideen der Care-Bewegung. Auch diese fordert massive Investitionen in soziale Infrastrukturen und eine Sicherung der existenziellen Lebensgrundlagen. Die Care-Bewegung geht aber noch weiter und fordert eine komplette Neuausrichtung der Wirtschaft, eine Care-Zentrierung. Im Vordergrund von Wirtschaft steht dann nicht mehr Profit, sondern die Bedürfnisbefriedigung von Menschen. 

…und Care ins Zentrum rücken!

Antifaschistische Wirtschaftspolitik kann also bestimmten Krisen unserer Zeit, insbesondere dem erstarkenden Rechtsruck und der Gefährdung der Demokratie in Deutschland, begegnen. Auch der Care-Krise kann mit vermehrten Investitionen in Soziale Infrastrukturen etwas entgegengesetzt werden. Wenn wir aber eine umfangreiche positive Sicherheit für alle erreichen wollen, kann Care nicht nur eine Randnotiz sein, sondern muss in der Wirtschaftspolitik zentral gestellt werden. Bei allen wirtschaftspolitischen Entscheidungen sollte eine Rolle spielen, ob sie dazu beitragen, dass alle Menschen gut versorgt sind. Denn Care-Arbeit ist die Grundlage für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Ob Menschen in Sicherheit Sorgearbeit leisten können, ist damit ein guter Gradmesser für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. 


 Von Liska Beulshausen, Amelie Fischer, Johannes Otterbach und Feline Tecklenburg


[1] Zum Zusammenhang zwischen Care-Arbeit und Klimakrise: Sherilyn MacGregor, Seema Arora-Jonsson and Maeve Cohen. 2022. Caring in a changing climate. Centering care work in climate action. Oxfam.

[3] In den USA wird von eine K-förmigen Entwicklung der Kaufkraft gesprochen: Während die Spitzenverdiener ihr Geld vermehren (obere Linie des K), sinkt das Einkommen und damit die Kaufkraft der unteren Hälfte (untere Linie des K). 

[4] Isabella Weber und Lukas Scholle. Antifaschistische Wirtschaftspolitik ist dringender denn je. In: Surplus. Das Wirtschaftsmagazin. 24.2.2025. 

[5] Uta Meier-Gräwe. 2023. Gegen Politikverdrossenheit: Löst die Alltagsprobleme! In: Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2023. S. 41-44.

[6] Weber und Scholle, Surplus, 24.2.2025

[7] Ebd. 

[8] Ebd.