Pronatalismus Reloaded. Rechte Ideologie mit Hightech-Update

Artikel

Pronatalismus feiert ein Comeback. Doch der dahinterstehenden Bewegung geht es nicht um den Erhalt der Menschheit, sondern um die Reproduktion bestimmter Bevölkerungsgruppen. Was passiert, wenn diese Ideologie auf finanzielle und politische Macht sowie moderne Reproduktionstechnologien trifft? 

Babypuppen aus Plastik liegen entlange einer Trennline von hell zu dunkel Braun.

“It should be considered a national emergency to have kids”, zitiert die New York Times Tech-Milliardär Elon Musk.(1) Figuren wie Musk haben Donald Trump mit Wahlkampfspenden unterstützt, jetzt agieren (bzw. agierten wie im Falle des mittlerweile geschassten Musk) sie nahe am Zentrum der Macht. Eine pronatalistische Agenda zur Erhöhung von Geburtenraten ist bereits im „Project 2025“ der Heritage Foundation eingeschrieben, die ab 2022 einen Plan für den reaktionären Umbau der USA für Trumps zweite Amtszeit entwarf. Von Abtreibungsverboten über einen Babybonus in Höhe von 5.000 US-Dollar für jedes geborene Kind bis hin zur Überlegung, die höhere Bildung weniger zu fördern, damit Frauen früher Kinder bekommen – der antifeministische Plan kennt kaum Grenzen.(2) Aus regierungsnahen Kreisen gab es sogar den Vorschlag, eine „National Medal of Motherhood“ an Frauen zu verleihen, die sechs oder mehr Kinder gebären. Eine Praxis, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland bekannt ist.

 Es ging stets nur um bestimmte Segmente der Bevölkerung: weiß, nichtbehindert, hetero, Mittelschicht aufwärts.

Kein reines US-Phänomen

Viele deutsche Medien beschreiben den aktuellen Pronatalismus-Boom, als sei er ein skurriles Phänomen aus den USA. So titelt etwa der Stern „Kinder kriegen für ‚die menschliche Rasse‘: Der fragwürdige Pronatalismus-Trend im Silicon Valley“(3) und in der SZ findet sich die Überschrift „Pronatalisten in den USA: So viele Kinder wie möglich“(4). Dabei sind pronatalistische Ideologien ebenso fest in der deutschen Gesellschaft verankert. Pronatalistische Politiken sind auch nicht neu – sie finden sich an vielen Punkten der Geschichte. Und galten nie für alle. Es ging stets nur um bestimmte Segmente der Bevölkerung: weiß, nichtbehindert, hetero, Mittelschicht aufwärts. 

Den pronatalistischen Anreizen und Zwängen für die einen standen immer auch antinatalistische Maßnahmen für (bzw. gegen) die anderen gegenüber. Von sogenannten Mischehenverboten im deutschen Kolonialismus über die Zwangssterilisationen an behinderten Menschen im Nationalsozialismus, rassistische Sterilisationsprogramme in den USA (5) und anderswo sowie den Ausbau der Kinderbetreuung in der DDR bei gleichzeitig restriktivem Umgang mit Schwangerschaften von Vertragsarbeiter*innen (6) bis hin zu Steuerbegünstigungen für besserverdienende Eltern parallel zur Verweigerungshaltung bei Kindergrundsicherung und Familiennachzug. Neu ist aber die popkulturelle Modernisierung der mit dem Pronatalismus eng verknüpften konservativen und rechten Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen und Familienmodellen. Sogenannte Tradwives zum Beispiel promoten auf Tiktok, Youtube und Instagram das Hausfrauendasein: Fürsorge für (möglichst viele) Kinder und den Ehemann, ein sauberes Zuhause, Arbeit am eigenen normschönen Aussehen. Dazu gehört auch, dass die Influencerinnen ausnahmslos weiß sind.

Explosive Mischung: Pronatalismus und Reproduktionstechnologien

Was an der aktuellen Bewegung auch neu ist, sind die technologischen Möglichkeiten, die in den Dienst dieses selektiven Pronatalismus genommen werden. Beim Nachwuchs soll nicht nur die Quantität angekurbelt, sondern auch die vermeintliche Qualität gesteigert werden. Reproduktionstechnologien bieten hier zahlreiche Möglichkeiten: vom Matching von Eizell- und Samengeber*innen nach Kriterien wie race oder Bildungsabschluss über Carrier-Screening-Tests, bei denen getestet wird, ob diese Anlagen für mögliche erbliche Erkrankungen in sich tragen, bis zu polygenem Embryo-Screening und selektiven pränataldiagnostischen Untersuchungen. Forschende wie die Soziologin Katie Hasson vom Center for Genetics and Societywerfen einen kritischen Blick auf die pronatalistische Bewegung in den USA und ihre unterschiedlichen Strömungen, insbesondere auf die technologieaffinen und finanzstarken Unternehmer*innen aus dem Silicon Valley sowie die Start-ups und Investment-Szene hinter Embryo-Screening und Co. Pronatalismus funktioniert im Kontext rechter Ideologien und insbesondere im Zusammenhang mit Antifeminismus und der Einschränkung reproduktiver Rechte besonders gut.  Darüber habe ich  in einem Interview mit der Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin Lina Dahm gesprochen. Sie zeigt auch Unterschiede zwischen den USA und Deutschland auf.

Altbekannte Ideologie in neuem Gewand

Pronatalismus war schon immer selektiv: Nicht alle sollen mehr Kinder bekommen. Die Ideologie ist getrieben von der Angst, die vermeintlich Falschen könnten sich rascher vermehren als die eigene Gruppe: Migrant*innen, BIPoC (7), arme Menschen oder solche mit geringer formeller Bildung. Pronatalismus ist daher eng verbunden mit rechten und rassistischen Motiven von Reinheit, genetischer Überlegenheit und dem Recht des Stärkeren. Pronatalismus und Eugenik teilen damitihre Kontinuitäten in Deutschland auch nach 1945 und prägen heutige rechte Kulturkampfdiskurse hierzulande.

Mehr als ein Spleen von Milliardären

Es ist wichtig, aufzuzeigen, dass Pronatalismus mehr ist als ein Spleen etwas schrulliger Milliardärspaare ist. Zu oft fokussieren Medien auf den Boulevardaspekt. Dabei ist es letztlich egal, ob Elon Musk nun 12 oder 14 Kinder hat, ob sein Fortpflanzungsdrang aus Selbstüberschätzung rührt und wie teuer die reproduktionsmedizinischen Behandlungen oder die Leihschwangerschaften waren. Was macht Pronatalismus also so gefährlich? Es ist eine rechte bevölkerungspolitische Ausrichtung, die untrennbar mit Ideologien der Ungleichheit verknüpft ist und bedrohliches Potenzial im Aufeinandertreffen mit modernen Reproduktionstechnologien entwickelt.


Anmerkungen und Referenzen:

(1) Bidgood, J. (21.05.2025): White House Birthrate Boosters See an Ally in Musk. The New York Times, online: www.nytimes.com.

(2) Kitchener, C. (21.05.2025): White House Assesses Ways to Persuade Women to Have More Children. The New York Times, online: www.nytimes.com.

(3) Heinzel, J. (18.06.2023): Kinder kriegen für „die menschliche Rasse“: Der fragwürdige Pronatalismus-Trend im Silicon Valley. Stern, online: www.stern.de.

(4) Nezik, A.-K. (20.06.2025): „Vielleicht sage ich nach 14 Kindern: Stopp.“. Süddeutsche Zeitung, online: www.sueddeutsche.de.

(5) Vgl. Roberts, D. (1997): Killing the Black body. Race, reproduction and the meaning of liberty. Randomhouse, New York.

(6) Kurt, Ş. (16.10.2018): Vertragsarbeiter*innen in der DDR: „Heute können sie keine Kinder mehr kriegen, weil sie kaputt sind“. Die Zeit, online: www.zeit.de.

(7) Black, Indigenous and People of Color. 

[Letzter Zugriff Onlinequellen: 22.07.2025]

 

Dieser Artikel erschien zuerst in Originalverfassung im GiD Magazin Nr. 274 - August 2025 und wurde redaktionell angepasst.