B(l)ack to Life. Neneh Cherry's Denken der Postkolonie

Feministischer Zwischenruf

Am 18.12. jährt sich der Wissenschaftstag #4genderstudies. Und wie im letzten Jahr wollte ich auch dieses Jahr einen Artikel über die Notwendigkeit und Relevanz der Gender Studies schreiben. Da dies aber gleichzeitig auch mein letzter Beitrag im Rahmen der Reihe Feministische Zwischenruf ist, will ich mich – und hoffentlich auch euch – schon vor Weihnachten beschenken, und zwar mit der Lektüre eines, wie ich finde, hochpolitischen und noch zudem meine Jugend auffrischenden Musikvideos.

Teaser Bild Untertitel
Neneh Cherry

Gerade aus der DDR gepurzelt, sehe ich mich noch vor dem Fernseher stehen und – als es noch MTV gab – zu Neneh Cherrys „Manchild“ tanzen. Und schwupps haben wir 2018, und ich kann erkennen, wie sehr sich Neneh Cherry in „Kong“ verändert hat, aber auch hören, wie sie musikalisch an eine Zeit anknüpft, in der Schwarze diasporische populäre Kultur maßgeblich an der Vision eines Identitätsbegriffs beteiligt war, der nicht in den Rahmen nationaler und ethnozentrischer Analysen passte. Es scheint, als würde sie mit Hilfe der Unterstützung von TripHop-Ästhetik am Ende der 1990er ansetzen, um in der Gegenwart für das Narrativ eines Black Atlantic im Sinne Paul Gilroy´s zu werben. Wider des weißen Nationalismus, aber auch: Wider des Schwarzen Ethnozentrismus. Mit Michelle M. Wright ließe sich ergänzen: Wider des Ausschlusses von Schwarzen Frauen* und Queers aus der Geschichte des Black Atlantic.



Kong ohne King

Mit dem Titel des Songs spielt Cherry auf die fiktive Figur des King Kong an, die an rassistische Fantasien des martialischen Einbruchs Schwarzer männlicher Potenz gebunden ist. Da diese Fantasie gegenwärtig gehörig remixed wird, um mit der Behauptung, Frauen vor Gewalt schützen zu wollen, den weißen Nationenkörper unberührt zu lassen, trifft Cherry allein mit dem Titel ihres neuen Songs den Nagel auf den Kopf: Der Kong ist nie King gewesen, sondern immer nur die Kopfgeburt weißer Suprematie.

 

Neneh Cherry - Kong - NenehCherryVEVO

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Doch noch eine andere Assoziation löst der Titel aus. Die Geschichte des Filmes „King Kong“ aus dem Jahr 1933 basiert auf verschiedenen Quellen, wovon eine auf die Serie „The King of the Kongo“ (1929) verweist. Mit der Entscheidung, ihren Song nur „Kong“ zu nennen, hebt sie die Überblendung des Gorillas mit dem Kongo hervor. Die Demokratische Republik Kongo ist eine der Regionen, aus der in der langen Folge des Kolonialismus heute viele nach Schweden, Cherry´s Heimat, migrieren. Verzweiflung über die doppelt ausweglose Situation, in einem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land genauso wenig leben zu können, wie in einer sicheren und wohlhabenden, aber von Rassismus und zunehmendem Rechtspopulismus geprägten Nation, bringt sie treffend und mit der richtigen Portion Wut zum Ausdruck: „And Goddamn guns and guts and history / And bitter love still put a hole in me“. Die brutale Gewalt der kolonialen Geschichte bricht immer wieder auf. Selbst die Liebe, die der Gewalt in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft entgegnet wird, ist bitter, ist tödlich.

Im Falschen neue Möglichkeiten

Und trotzdem: „And love is big in every land / Every nation seeks its friends in France and Italy / And all across the seven seas“. Die Verzweiflung kann nicht die Liebe verhindern, die in jedem Land steckt, sich über alle sieben Meere Freunde zu suchen. Was kitschig klingt, ist schließlich das Tragende des Songs. Er zeigt, „wie die Kräfte des Falschen neue Möglichkeiten eröffnen.“ (Nyong´o 2014: 35) Diese Möglichkeiten löschen das Falsche, das Schmerzhafte, das Riskante nicht aus. Es werden immer Risiken bestehen, die es Wert sind, eingegangen zu werden. „Bite my head off, still my world will always be / A little risk worth taking“. Schwarzes Leben existiert im Risiko, es gibt nichts, das es versichert. Im Gegenteil: Die Geschichte des Schiffes mit versklavten Menschen „Zong“ beweist, dass das Risiko verlorener „Waren“ während des transatlantischen Menschenhandels versichert war, nicht aber das Schwarze Leben (vgl. Sharpe 2016: 24-67). Und dennoch singt Cherry: „Bite my head off, STILL my world will always be.“ (Herv. KK) Selbst noch im vernichtendsten Schmerz kann eine Welt entstehen. Afrofuturismus hat versucht, das Mögliche im Falschen vorstellbar werden zu lassen und ließ durch die Babys der über Bord geschmissenen schwangeren Frauen unter Wasser ein Atlantis aufscheinen.

 

Katrin Köppert ist Queer-Medien-Affekt-Theoretikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der UdK Berlin. Zuvor lehrte sie an der Kunstuniversität Linz. Studium der Gender Studies und Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Cherry knüpft gewissermaßen an solche afrofuturistischen Motive an. Sinnbildlich dafür steht die Sequenz, in der sie als Geflüchtete vor einem Container posiert und inmitten der Krise eine Pose der Anbetung einnimmt, die in all ihrer Vertrautheit bezüglich Schwarzer Praktiken des worshipping eine Verschiebung vornimmt. So steht zu vermuten, dass hier kein Gott gepriesen, sondern mit den other-wordlies kommuniziert wird. Dass wohlhabende, weiße Menschen Geflüchteten mit so viel Abwehr begegnen wie sonst nur Aliens, kann trefflicher kaum dargestellt werden.

Dabei hat der an Trip-Hop erinnernde und die jamaikanische Musikkultur ab den 1950ern aufnehmende Dub-Bass sowie das Klingeln der Becken erst einmal wenig mit den peitschenden Sounds von Drexciya zu tun, dem afrofuturistischen Detroiter Techno-Duo, das die Unterwassenwelten als afronautische ins Zentrum ihres Schaffens stellte. Auch die Elemente aus Science-Fiction und Afrozentrizität wirken sehr reduziert. Dennoch erscheinen die weißen Flecken auf ihrer Schwarzen Haut wie ein Sternenzelt und deuten auf eine Kosmologie hin, die für den Afrofuturismus wichtige Metapher ist. Auch die Sequenz, in der sie im Silberkleid um eine Ecke biegt, lässt an die spacigen Gewänder Sun Ras denken, einem der Pioniere afrofuturistischer Ästhetiken.

Black Atlantic

Gleichzeitig greift das Video auf Südstaaten-Sklaverei zurück, auf Refugees, Rastafari, Cake Walk, Schwarze Alltagskultur und bildet so einen Querschnitt Schwarzer diasporischer Identität, die auf keine singuläre Nation, keine einheitlich gedachte Subjektposition verweist. Zusammen mit den musikalischen Anschlüssen an die 1990er meine ich daher, dass Cherry eines Denkens der Postkolonie folgt, um es für die Gegenwart zu reaktivieren. Authentizität spielt innerhalb dieses Denkens ebenso wenig eine Rolle wie auf Reinheit beruhende Vorstellungen nationaler und ethnischer Identität. „I argue (for) the rhizomorphic, fractal structure of the transcultural, internationel formation I call the black Atlantic“, schreibt Paul Gilroy (1993: 4) und benennt vor allem Schwarze vernakuläre Musikkultur aus der Diaspora als Beispiel einer kritischen, weil teilweise unter dem Radar von Hochkultur stattfindenden Auseinandersetzung mit – auch innerhalb Schwarzer intellektueller Diskurse befürworteter – Segregationen entlang biologistisch unterfütterter Kategorien wie Nation und Ethnie. Er führt ein Beispiel an, das mich, als ich ins Video reinschaute, ähnlich wie „Manchild“ in eine Zeit zurückversetzte, in der noch einiges möglich war. Erwecken wir doch manches (sicher nicht alles!) dieser Zeit wieder zu Leben: B(l)ack to life. Ist ja Weihnachten, und wir alle haben einen Wunsch offen.

P.S. Ich möchte mich herzlich beim GWI bedanken! Macht weiter so mit eurer großartigen und wichtigen Arbeit in der Heinrich-Böll-Stiftung und weit darüber hinaus.