Frauentag - Trauertag

Prof. Brigitte Young
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Prof. Brigitte Young

Presse Mitteilung der Initiative Frauen-Sachverstand

Dr. Inge Kaul und Prof. Brigitte Young, PhD

Ja, hatten Sie denn etwas anderes erwartet? So lautete die Antwort vieler, denen wir im Januar im Zusammenhang mit der neuen, vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission zum Thema Wachstum, Fortschritt und Lebensqualität geschrieben hatten. Der Grund für unseren offenen Brief an den Bundestagspräsidenten, die Fraktionsvorsitzenden und Mitglieder der Kommission war eine überraschende Tatsache - überraschend, weil die Kommission sich ja doch mit einem Thema befasst, dass uns alle direkt
betrifft, sollte ihr Bericht je Aufmerksamkeit und politische Umsetzung erfahren. Was uns so überrascht, ist die Tatsache, dass sich die Bundestagsabgeordneten von einer Expertengruppe beraten lässt, die - wie Sie nun wohl schon erahnen - nur aus Männern besteht: 17 Herren.

Und dies obwohl der Internationale Frauentag in diesem Jahr, am 8.3.2011, "100" wird! Wie schön wäre es, wenn wir an diesem Tag stolz auf eine fast erreichte Gleichstellung von Frauen und Männern schauen könnten. In der Tat gibt es heute wesentlich mehr qualifizierte Frauen in öffentlich anerkannten Positionen in der Bundesrepublik Deutschland als vor hundert Jahren, vor zwanzig und zehn Jahren. Aber es gibt, wie der Fall der Enquete-Kommission zeigt, eben auch noch den "gläsernen Deckel": Die Verfassung garantiert Frauen Gleichstellung. Etliche Gesetze fordern sie. Es gibt sogar ein Gesetz, das von allen staatlichen Stellen verlangt, dass sie sich aktiv für die Gleichstellung von Frau und Mann einsetzen. Nur, scheinbar gilt das Gesetz nicht für den Bundestag selbst.

Statt auf solide Erfolge zurückzuschauen, schauen wir nun - zum 100. Geburtstag des Frauentages - auf einen flagranten Fall von Rückschritt: ein Zurück ins Macho-Zeitalter.

Aber man hat uns, die Briefe-Verfasserinnen, auch zu trösten versucht: Eine Sitzung der Enquete-Kommission würde sich speziell mit Frauenfragen befassen - sprich, eine kleine Zeit-Nische wird es schon für dieses äußerst sekundäre Thema der Gleichstellung der Geschlechter geben, so nebenher, ganz separat. Das klingt bekannt, oder? Netter Retro-Touch!

Das Enquete-Kommissions-Debakel findet zudem zeitgleich mit dem engagierten Kampf der Ministerin für Arbeit und Soziales um mehr Frauen auf Chef-Etagenstatt. Arme Frau von der Leyen! Wie kann sie hoffen, politische
Unterstützung für ihr Anliegen zu finden, wenn ihre Bundestags-Kollegen gleichzeitig im Zusammenhang mit der Ernennung von 17-Männer-Experten deutlich machen, dass man die schönen Verfassungs- und Gesetzestexte über Chancengleichheit doch auch selbst gar nicht so ernst meint.

Mithin, was machen wir nun mit dem 8.3.2011, dem 100. Geburtstag des internationalen Frauentages?

Wir können ihn als Trauertag begehen! Frauen können trauern, weil ihre Gleichstellung sich einmal wieder als ein immer noch schimärenartiges Ziel erwiesen hat. Und wir alle - Männer und Frauen - können trauern, weil es doch eigentlich mittlerweile recht eindeutig und nachgewiesen ist, dass unsere Aussichten auf nachhaltiges Wachstum, soliden Fortschritt und erhöhte Lebensqualität eigentlich besser sind, wenn wir in allen Lebensbereichen das Zusammenwirken von Frau und Mann förderten.

Vielleicht sollten wir Frauen eine Kampagne starten: "Warum wählen, wenn wir nicht zählen?". Da noch sechs Landtagswahlen in 2011 bevorstehen, könnte eine solche Initiative auch die Abgeordneten aufwecken. Oder gäbe es da eine Gefahr, dass sie selbst das Nicht-Wählen von Frauen so kalt ließe wie unser Protest - und der vieler anderer Frauen und Männer - gegen die Männer-Expertengruppe sie offensichtlich kalt gelassen hat?

Berlin, 28.2.
Inge Kaul
Brigitte Young
Initiative Frauen-Sachverstand

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*Hintergrund:
Die Initiative Frauen-Sachverstand wurde im Januar 2010 gegründet (siehe den beigefügten offenen Brief vom  30.1. 2011). Ihr ursprüngliches Ziel war es, 25% der Experten-Männer zu einem freiwilligen Rücktritt zu bewegen, um qualifizierten Expertinnen die Möglichkeit zu geben, nachrücken zu können. Keiner der Männer ist zurückgetreten. Der Bundestagspräsident hat sich bislang noch nicht zur Sache geäußert. Die Bundesarbeitsministerin hat schriftlich mitgeteilt (am 23.2.2011), dass „ich keinen Einfluss auf die Besetzung der Enquete-Kommission habe“. Die Vorsitzende der Enquete-Kommission, Frau Daniela Kolbe (SPD) hat die beigefügte Antwort an uns und andere Personen, die sich in dieser Sache an sie gerichtet hatten, geschickt. Der zweite offene Brief von Seiten unserer Initiative ist auch beigefügt.

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