Gender und Wahn: Können wir uns verändern, um glücklicher zu werden?

Feministischer Zwischenruf

Die Diskussionen um Frank Plasbergs Sendung "Hart aber Fair" zeigen, dass die Angst vor dem "Alltagswahnsinn" Gender vor allem Ausdruck von Unwissen sind. Für Heide Oestereich geht es im Endeffekt um fortschrittliche oder konservative Politik. Die "Zeit" und das WDR haben sich in dieser Hinsicht klar positioniert.

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Der WDR und die „Zeit“ sind nun ganz auf der konservativen Seite gelandet

Schwer zu sagen, ob uns Gendergate in den zwei Ausgaben von Hart aber Fair – eine im März, eine im September – mit Moderator Frank Plasberg irgendwie weiter gebracht hat. Als „Alltagswahnsinn“ hatte Plasberg das Thema in seiner ersten Sendung bezeichnet und ein Podium zusammengestellt, auf dem die Gender-Kritiker sehr schlicht argumentierten. Aber auch die aufgrund der Empörung großer Teile des Publikums durchgeführte Wiederholung der Talkrunde blieb uninformativ. Noch immer wurden den Zuschauer*innen die einfachsten Dinge nicht vermittelt. Was ist eigentlich genau Gender? Wie genau läuft das mit der Biologie der Geschlechter? Ignoriert die Genderforschung die wirklich, so wie die Mitdiskutierende Anti-Gender-Aktivistin und Katholikin Birgit Kelle es allenthalben verkündet?

Plasberg, der Fuchs, hat die Wiederholung der Debatte im September klug genutzt: Ein bisschen Reue zeigen – ja, man hatte beim Erstversuch Gender etwas einseitig dargestellt. Und dann ganz viel Opfer: Feministinnen haben bewirkt, dass die Sendung vorübergehend aus der Mediathek genommen wurde – Feministinnen haben sich über seine Gäste, namentlich Sophia Thomalla beklagt: Eine Steilvorlage für die Anti-Gender-Fraktion, die diese weidlich nutzte – bis hin zu dem schönen Satz von Thomalla: „Auch ich als doofe Frau habe das Recht, meine Meinung zu sagen.“

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

Schützenhilfe hatte Plasberg durch die „Zeit“ bekommen, die sich ganz generell durch die politisch Korrekten gegängelt und zensiert fühlte. Auf der ersten Seite war die Rede von „Gesinnungsterror“. „Was man nicht mehr sagen darf“ titelt sie zum Bild einer abgeschnittenen Zunge. Iris Radisch empört sich über die angebliche Selbstzensur bei Rassismus- oder Sexismus-Verdacht: sie  findet es höchstens „pittoresk“, dass sich Menschen an rassistischen Bezeichnungen wie „Negerkönig“  in Kinderbüchern stören und sehnt sich zurück nach der Auschwitzkeule von Martin Walser. Jens Jessen wittert die Meinungshoheit der „Gekränkten“, die Sprechverbote zur Folge hätten. Nach dem Motto: „Du glaubst nicht an die Gendertheorie? Pssst, irgendjemand ist immer beleidigt.“ Das ist der typische Satz eines Herrschenden über die weniger Mächtigen, die es wagen, ihm mit ihren Anliegen auf die Nerven zu gehen.

Skurril ist das Ganze, weil Gender in der Gesellschaft und auch in der „Zeit“ eigentlich kaum ein Thema ist. Wie etwas den Diskurs beherrschen kann, das eigentlich kaum eine Rolle spielt, ist Herrn Jessens Geheimnis. Dass Gender nicht sehr präsent ist, merkt man daran, dass kaum einer weiß, worum es eigentlich geht. Im Gegensatz zu der Horrorvorstellung von Frau Kelle, dass hier die Biologie geleugnet würde, befasst sich Genderforschung damit, wie wir die Biologie interpretieren. Und stellt fest: Da haben in den letzten Jahren diejenigen die Oberhand, die unser Verhalten ganz und gar biologisch erklären wollen: Frauen haben ein anderes Gehirn, andere Hormone, andere Gene als Männer und deshalb sind sie so wie sie sind. Die 0,4 Prozent Genderprofessuren in Deutschland konnten daran nicht das Geringste ändern.

In letzter Zeit mehren sich aber die Belege dafür, dass das Hirn extrem plastisch ist, die Hormonlage sich auch der Lebenssituation anpasst und Gene ebenfalls auf die Umwelt reagieren. Zugleich zeigt die Forschung, dass Menschen sich umso stereotyper verhalten, je öfter ihnen die Stereotypen vorgebetet werden. So mindert es zum Beispiel die Intelligenz – und zwar von Jungen und Mädchen – wenn sie sich als Cheerleader vorstellen, bunte Puscheln schwingend. Imaginierten sie sich als Professor, stieg die Intelligenz – bei beiden.

An der Biologie können wir so schnell nichts ändern, aber warum sich nicht um das kümmern, was wir ändern können? Anstatt die Schotten dicht zu machen und zu behaupten, nichts sei veränderbar?

Können wir uns verändern, um glücklicher zu werden? Oder müssen wir das Beste aus dem Vorgegebenen machen? Letztlich ist das eine Frage zwischen links und rechts. Fortschrittlich oder konservativ sein. Der WDR  und die „Zeit“ sind dabei nun ganz auf der konservativen Seite gelandet. Das zumindest ist mit Gendergate klar geworden. Kein Wunder, dass aktueller Feminismus im Netz stattfindet, in den alten Medien hat er nämlich keinen Platz.