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Warum tragen Sie den Nikab?

Feministischer Zwischenruf

In der Kopftuchdebatte war es schon auffällig, für die Burkadebatte gilt es in besonders hohem Maße: Die Hauptperson spricht nicht.

Frau im Nikab vor einer Wand in Regenbogenfarben
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Der Nikab wird nur in seltenen Fällen von seinen Trägerinnen als „Stoffgefängnis“ wahrgenommen

In der Kopftuchdebatte war es schon auffällig, für die Burkadebatte gilt es in besonders hohem Maße: Die Hauptperson spricht nicht. Fanden sich beim Thema Kopftuch noch einzelne Protagonistinnen, so sah man bisher keine Burkaträgerin in den Medien. Der Grund ist einfach:  in Deutschland gibt es wahrscheinlich keine. Aber Nikabträgerinnen gibt es – und auch die treten kaum auf. Und offenbar laden die Medien sie auch eher nicht ein. Die Insassin eines „Stoffgefängnisses“ (so Uli Schulte in seltener Einmütigkeit mit Alice Schwarzer in der taz) ist für viele Menschen so offenkundig unterdrückt, dass man ihrer Aussage keinen Wert beimisst: Sie wird ja kaum sagen, dass sie das Ding trägt, weil ihr Mann sie dazu zwingt, so die Logik. Aus purem Überlebenswillen sagten sie dann, sie trügen ihren Stoffknast freiwillig, so argumentiert etwa die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates. 

Das aber nun ist ziemlich schräg, denn damit hat man die Nikabträgerin stumm gemacht. Ihre Stimme steht unter Lügenverdacht und zählt nicht. So kann Solidarität unter Frauen nicht funktionieren. 

Doch wenn sie gefragt werden, was sagen sie dann überhaupt über ihren Stoffknast? Es gibt mehrere Studien dazu, für die größte davon  hat die Open Society 122 Nikabträgerinnen in Großbritannien zugehört. In Frankreich und Belgien wurden die Frauen ebenfalls schon befragt. Wer sperrt die Frauen ins Gefängnis? Und wer will sie wieder befreien? 

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

Die Mehrheit der Nikabträgerinnen wurde von einer Freundin inspiriert, die den Nikab schon trug und die ihr vermittelte, dass das Tragen eine intensivere spirituelle Praxis ermögliche. „Wenn du jemanden mit Nikab siehst, ist das wunderschön. Diese Frau hat wirklich „Nur“, das Licht,“ erklärt eine Belgierin. Viele sind stolz darauf, ihre religiöse Praxis so darzustellen und fühlen sich dadurch erhöht. Sie fühlen sich geschützt, und viele berichten auch von einer Freiheit: Eine Britin erklärt, dass sie sich endlich keine Gedanken mehr über ihr ihrer Meinung nach unvorteilhaftes Aussehen machen muss. Ein früheres Model gibt an, dass nun nicht mehr auf ihr Äußeres geschaut werde, sondern nur noch die Person wichtig sei. Eine andere sagt unverblümt: „Niemand sieht mich mehr an. Ich fühle mich frei“. Und eine weitere sagt: „Ich sollte ja wohl selber entscheiden, wer mich ansehen darf und wer nicht.“   

Davon abhalten wollten sie hauptsächlich die Mütter und gleich hinter ihnen die Väter und Geschwister. Eine Londonerin mit somalischen Wurzeln beschreibt, wie sie erst ein Kopftuch trug, dann in ihrer Schule so viel Ärger bekam, dass sie auf eine islamische Schule wechselte, dort trug sie dann zum Entsetzen ihrer Eltern den Gesichtsschleier. Nimmt man ihn als Indiz einer Radikalisierung, dann war diese eine Folge vorhergehender Diskriminierung. 

Und der Zwang durch den Ehemann? 

Die Hälfte der verheirateten Frauen in der britischen Studie trug den Nikab schon vor der Heirat. Die andere Hälfte entschloss sich nach der Hochzeit – unter großer Zustimmung der Ehemänner. Eine Frau spricht von direktem Zwang und ihrer Pflicht, zu gehorchen. Doch knapp die Hälfte der Frauen gibt an, ihr Mann hätte nichts dagegen wenn sie den Nikab wieder abnähmen. Mit anderen Worten: Es  gibt den männlichen Zwang - aber selten, es gibt Zustimmung - und zwar oft und es gibt auch Widerstand gegen das Abnehmen. Aber das Bild ist eben nicht einheitlich – und eine Menge Frauen tragen den Nikab offenkundig freiwillig, weil weder Eltern noch Ehemann sie dazu gebracht haben. Alles gelogen? Zwingen Mütter ihre Tochter unter einen Nikab, obwohl sie selbst keinen tragen? Eher nicht. Zwingt ein Ehemann seine Frau unter den Nikab? Wohl kaum, wenn sie ihn schon vorher trug. Es gibt einfach wenig Anhaltspunkte dafür, dass die Antworten der Frauen nicht stimmen.

Doch wie bewegen sich die Frauen mit dem Nikab durch die Gesellschaft? Es gibt drei Tendenzen in den Antworten: Die einen sind pragmatisch: Wenn sie in ihrem Job arbeiten oder in einem Umfeld sind, das für den Nikab kein Verständnis hat nehmen sie ihn einfach ab. Manche werden auch so sehr belästigt, dass sie das Tragen wieder ganz aufgeben. Und die dritte Gruppe zieht sich aus den nichtmuslimischen Vierteln zurück und bewegt sich immer stärker in ihrer muslimischen Parallelgesellschaft.

Was folgt nun draus? Vor allem lässt sich feststellen, dass der Nikab von seinen Trägerinnen offenkundig nur in seltenen Fällen als „Stoffgefängnis“ wahrgenommen wird. Salopp gesagt: Das „Frauen befreien“ fällt aus. 

Zum anderen aber ist der Nikab tatsächlich ein Integrationshindernis. Menschen reagieren ängstlich, man kann die Trägerin nicht einschätzen, sie selbst sieht, dass sie mit Nikab nur eingeschränkt kommunizieren kann. Die Frage, die sich unsere Gesellschaft nun stellen muss, ist, ob sie das aushalten will. Kleiner Tipp: Je mehr sie über die Nikabträgerinnen weiß, desto einfacher wird es, ganz ohne Verbote auszukommen. 


Verwendete Studien: 

Open Society Foundation 2015: Behind the veil. Why 122 women choose to wear the full face veil in Britain

Eva Brems, Yaiza Janssen, Kim Lecoyer, Saila Ouald Chaib, Victoria Vandersteen 2012: Wearing the Face Veil in Belgium. Views and Experiences of 27 Women living in Belgium concerning the Full Face Veil and the Belgian Ban of Face Covering