Sechs Jahre Syrische Revolution

Am 18. März fand in Berlin eine Demonstration statt, um an das sechste Jahr der Revolution in Syrien zu erinnern. Unsere Autorin Ameenah Sawwan war dabei und teilt hier einige Gedanken und Gespräche.

Teaser Bild Untertitel
Demonstrant*innen schwenken syrische Fahnen auf einer Demo.

Am 18. März war der sechste Jahrestag der syrischen Revolution; keiner hätte erwartet, dass es so weit kommen und so viele Jahre seit dem syrischen Aufstand ins Land gehen würden. Wann immer wir glaubten, es könne mit Syrien nicht schlimmer kommen, entwickelte es sich doch weiter zugunsten des Regimes. Das Assad Regime zu stürzen, ist für viele Syrer die Bedingung für ein besseres und freies Syrien. In den letzten sechs Jahren war es schwer, die Hoffnung nicht aufzugeben, bei all dem Auf und Ab. Es wurde schwierig für jene von uns, die das Privileg haben in Sicherheit zu sein, denn wir müssen jetzt Verantwortung übernehmen und von uns hören lassen, aber es ist nicht einfach, mit der Schuld der Überlebenden aus der Entfernung zuzuschauen. Viele von uns sind gefangen zwischen dem Wunsch etwas zu tun, um auf das Leid aufmerksam zu machen, das sich in der Heimat immer noch wiederholt, und dem Impuls, sich deprimiert zurückzuziehen, alle Aktionen und Reaktionen als sinnlos zu verwerfen. Dieses Jahr hatte der 18. März etwas deprimierendes: Wir mussten der Tatsache ins Auge sehen, dass während wir als Refugees an einem “sicheren Ort” sind, die Krise in Syrien weitergeht und wir können nur zuschauen.

In Berlin fand am 18. März anlässlich des sechsjährigen Jahrestags der syrischen Revolution eine Demonstration statt – unter dem Titel Die syrische Revolution vereint uns/ الثورة السورية تجمعنا. Auf dem Weg dort hin traf ich meinen Freund Usama, der aus Homs stammt. Er war aufgewühlt wegen des laufenden Evakuierungsprozesses im Bezirk Al-Wa’er in Homs. Usama lebt in Berlin und war zum ersten Mal bei einem Jahrestag der syrischen Revolution in Deutschland dabei.

“Die Menschen in Al-Wa’er werden sich vielleicht nicht erinnern, dass sie am Tag der syrischen Revolution evakuiert werden, weil ihre Situation zu dramatisch ist, um an Daten und Kalender zu denken. Es ist ihnen egal, ob sie an diesem oder einem anderen Tag evakuiert werden, weil es keine Rolle spielt für ihre schreckliche Lage. Es sind vier Jahre unter strenger Belagerung vergangen ohne die einfachsten Grundlagen für normale Lebensumstände“, erzählte Usama mir, als wir zur Demo liefen. Er hätte nicht erwartet, dass die Situation in Syrien so lange andauern würde: “Vielleicht haben unsere Demonstrationen hier keine Auswirkung auf die Situation in Syrien, aber ich komme jedes Mal wieder, weil ich nicht zuhause bleiben kann und ich werde auch immer weiter kommen.”

Während der Demonstration traf ich so viele Freunde und sah all die Gesichter, die ich von anderen Protesten für Syrien hier in Berlin kannte. Ich sah einen Freund, der aus Raqqa kommt, wie er da stand mit einem Schild auf dem es hieß “Freiheit für die syrischen Gefangenen.” Mein Freund war selbst inhaftiert, nachdem er 2011 in einem Feldlazarett in einem Vorort von Damaskus freiwillig mitgearbeitet hatte. Nach seiner Freilassung musste er aus Damaskus fliehen, aus Angst, wieder verhaftet zu werden. Er ging nach Raqqa und arbeitete dort acht Monate lang für eine zivilgesellschaftliche Organisation. Aber es war nicht einfach für ihn, weil ISIS in der Gegend immer größer wurde und so geriet sein Leben wieder in Gefahr und er floh in die Gegend der türkisch-syrischen Grenze. Am Ende gelang es ihm über das Forschungsprogramm einer deutschen NGO nach Deutschland zu kommen. Für meinen Freund – der lieber nicht namentlich erwähnt werden möchte – ist es der dritte Jahrestag der syrischen Revolution, den er in Deutschland miterlebt. “Das letzte Mal, das ich in Syrien war, ist im August 2014 gewesen. An meinem ersten Jahrestag hier waren unheimlich viele Menschen dabei. Im zweiten Jahr kamen weniger Leute zur Demonstration. Und dieses Jahr habe ich kein gutes Gefühl und ich denke jetzt: Könnte es passieren, dass wir hier Jahr für Jahr herkommen, während Assad immer noch da ist und sich nichts ändert? Könnten wir so werden wie die iranischen Oppositionellen, die immer zu bestimmten Tagen rausgehen und der iranischen Revolution gedenken? Ich weiß nicht was ich sagen soll, aber ich hoffe der Krieg endet, das ist jetzt die oberste Priorität. Ich hoffe, Assad und seine Verbündeten werden Syrien verlassen, aber es ist wichtiger, das Blutvergießen zu beenden. Ich kann nicht zurück in ein Land, in dem die Assad Familie regiert.”

Bei jeder Demonstration sehe ich Anas, der auf deutsch vorsingt und dem dann alle Demonstranten nachsingen. Anas kam vor fast drei Jahren nach einer langen Reise aus Syrien nach Deutschland und lernte sehr schnell Deutsch. Erst floh er in die Türkei, dann nach Jordanien, Türkei, Algerien, Libyen, Italien und schließlich nach Deutschland. Anas verbrachte zwei Tage auf dem Meer zwischen Libyen und Italien, er ließ seine Eltern in der Türkei und einen Bruder in Syrien zurück, der noch immer in einem Feldlazarett arbeitet. Anas’ jüngerer Bruder wurde in ihrer Wohngegend in Aleppo von einem von Assad’s Luftwaffenangriffen getötet. Anas studierte gerade im zweiten Jahr Bauingenieurswissenschaften an der Universität von Aleppo als er an einer Demonstration der Uni teilnahm. Die Truppen des Regimes eröffneten das Feuer und er wurde in beide Beine und einen Arm getroffen, aber er überlebte. Sein Kommilitone neben ihm war sofort tot. “Er wurde in den Kopf getroffen; das war kein ungezielter Schuss. Sie töteten ihn vorsätzlich. Sie schossen mit Gewehren und ich wurde achtmal getroffen. Als ich nach Deutschland kam wurden sechs Kugeln entfernt, zwei sind noch in meinem Körper, die konnten sie nicht rausnehmen”, erklärte Anas mir.

Anas ist überzeugt, dass die Zeit den Syrienkrieg zur Routine gemacht hat. Am Anfang glaubten die Menschen noch, das Regime könnte in einer oder zwei Wochen oder vielleicht einem Monat gestürzt werden. Aber Anas hat bisher nie in seinem Leben die Hoffnung verloren, obwohl es nun schon so lange dauert. “Die Hoffnung wird immer da sein und auch wenn die Revolution irgendwann zum Ziel führte, der 18. März wird immer wichtig sein, weil er an die Prinzipien der Revolution erinnert. In Deutschland, einem demokratischen Land, werden wir immer die Erlaubnis haben zu demonstrieren. Ich wünschte mehr Menschen kämen zu diesen Veranstaltungen. Vielleicht kommen weniger, weil sie die Hoffnung aufgegeben haben oder sie sind deprimiert, weil sich an der Lage nichts ändert. Sie müssen wissen, dass unsere Stimmen zählen und einen Unterschied machen, vielleicht sollten sie sich an die Geschichte der Berliner Mauer erinnern, die beweist, dass der Wille der Menschen etwas verändern kann”, so Anas.

Die Rechte für die in Syrien seit sechs Jahren gekämpft werden, sind in anderen Ländern gegeben, aber Anas beobachtet, dass sie nicht genügend gewertschätzt werden. “Die Menschen können hier frei wählen, aber ich höre immer wieder von Leuten, die nicht wählen wollen oder sich nicht einbringen wollen. Das ist ein bisschen enttäuschend für mich. Deren Stimmen können immer etwas bewegen und Demokratie ist ein Geschenk, dass gewertschätzt werden sollte.” Am Ende der Demonstration wiederholten die Anwesenden den Schwur der Revolution, mittlerweile ein wiederkehrendes Ritual. Die Leute sangen und riefen dieselben Gesänge wie 2011 während der Demonstrationen in Syrien.

Auf dem Nachhauseweg erzählte Baha, einer unserer Freunde aus Homs, von seiner Reise über Ägypten nach Deutschland, von seinen sieben Tagen auf dem Meer und wie er schließlich in Italien landete. Seine humorvolle Art, auf diese Erfahrungen zu schauen, brachte uns nach diesem Tag voller gemischter Gefühle zum Lächeln. Als ich ihn anschaute erinnerte ich mich an alle meine syrischen Freunde, die auch in den schwierigsten Situationen, die sich niemand vorstellen mag, weitermachen.

Der 18. März ist nicht nur der Jahrestag der syrischen Revolution, er erinnert uns auch an unsere Widerstandskraft und Stärke. Er ist da, um uns ins Gedächtnis zu rufen, wie alles angefangen hat und um an die guten Zeiten und Freunde zu denken, die über diese ganzen sechs Jahre mit uns waren. Es ist gut, dass wir uns realistisch der Gegenwart stellen und uns bewusst sind, dass unser Weg nicht mit blühenden Rosen gepflastert sein wird – vielleicht sogar das Gegenteil – aber wir wollen trotzdem weitergehen.

Hier einige Eindrücke der Demonstation am 18.3.2017. Alle Fotos von Inga Alice Lauenroth

Dieser Artikel erschien zuerst beim Aktionsbündnis "Wir machen das". Der Originalbeitrag hier.