Der Ort von Erinnerung beleuchtet

Ein Gedicht über anschauliche Erinnerungen von einem durch Krieg zerstörten Zuhause - im Rahmen von Weiter Schreiben - ein literarisches Portal für Autor*innen aus Krisengebieten.

Lesedauer: 2 Minuten
Der Ort von Erinnerung beleuchtet - Widad Nabi
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Der Ort von Erinnerung beleuchtet - Widad Nabi

Für unsere Häuser, die wir verließen bei jeder Zerstörung und Bombardierung.

1
 Traurig ist,
 dass du die Ruinen deines Hauses im Traum besuchst
 und zurückkehrst ohne Staubspuren an deinen Händen.

2
 Zärtlich ist,
 dass du die verwelkten Blumen gießt
 im Nachbargarten,
 weil die Blumen deines Hauses
 ohne Wasser unter Bomben starben.

3
 Die Entfernung ist
 eine Zwangsgeografie,
 trennt zwei Städte voneinander.
 Zwischen ihnen Tausende von Meilen,
 in einer hast du deine Kleider auf der Wäscheleine gelassen,
 in der zweiten streckst du deine Hand in die Luft,
 um deine Kleider von der Terrasse in der ersten zu nehmen.

4
 Deine Hand,
 die an den Klingeln deines alten Hauses haftet.
 Wer erzählt ihr,
 dass „die Häuser nicht mehr denen gehören, die sie verließen“?

5
 Nur das Wasser allein
 weiß, warum die Blumen weinen
 auf den Balkonen der glücklichen Familien,
 die wir verlassen haben.

6
 Auf dem Weg zu deinem neuen Zuhause
 gibt es eine lange Straße der Sehnsucht,
 du wirst dort ewig entlanglaufen.

7
 Berührst du das harte Metall des Busses hier,
 wächst dort eine Narzisse
 auf dem Metallgriff deiner Haustür.
 So bleiben die Häuser ihren vertriebenen Besitzern treu.

8
 Mitten im Schlaf wacht jede Nacht auf.
 Der Wasserhahn tropft immer noch
 in deiner alten Küche.

9
 Das Leben wird nicht so schlimm,
 es schenkt dir ein neues Haus.
 Aber deine Seele bleibt ein Wolf,
 der jede Nacht heult
 auf der Stufe deines alten Hauses.

10
 Hinter dem alten Fenster
 beobachtet dein Bild den Regen,
 die feuchte Buche weint
 und niemand bemerkt sie.

11
 Die Dunkelheit gedeiht
 in den verlassenen Häusern
 wie das Kraut im April.
 Trotzdem ist der Ort von Erinnerung beleuchtet.

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