Überwachung Intersektional: Geschichtliche Kontinuitäten

Die Überwachung von Frauen und ihren Körpern hat eine lange Tradition. Die intersektionale Betrachtung dieser historischen Linien rückt den Fokus von einzelnen Überwachungstechnologien und- praktiken von Staaten oder Konzernen hin zu den Machtverhältnissen, die Überwachung untermauern.

Überwachungsforscher*innen sind sich mehrheitlich einig, dass sich Ausmaß und Intensität von staatlicher Massenüberwachung wie auch der öffentliche Überwachungsdiskurs seit den 9/11 Anschlägen in den USA global zugespitzt haben. Dabei drehen sich die Kontroversen meist um moderne Überwachungstechnologien, um Überwachungsdaten, um den Trade-Off zwischen Freiheitsrechten und Sicherheit, und inzwischen auch um den überwachungskritischen Datenreichtum großer Konzerne wie Facebook, Google oder Amazon.

Eine differenzierte Gender-Perspektive steht dabei eher selten im Vordergrund, eine intersektionale Betrachtungsweise erst recht nicht. Das überrascht. Schließlich sind die Genderforschung wie auch die Überwachungsforschung Disziplinen, deren Kerngeschäft seit Beginn ihrer Entstehung eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Machtverhältnissen und der gesellschaftlichen und/oder staatlichen Kontrolle von Menschenkörpern ist.

Warum ein intersektionaler Ansatz hier wichtig ist, wird klar, wenn wir uns vor Augen führen, wie eng Gender, Rasse und Überwachung historisch verschränkt sind. Auch wenn sie seither vermehrt öffentlich diskutiert werden, sind moderne Überwachungspraktiken und -technologien nämlich nicht in einem post-9/11 Vakuum entstanden, sondern reihen sich in eine lange Geschichte der wissenschaftlichen Quantifizierung, unter anderem im Dienste der Bevölkerungskontrolle, ein.

Gender und Sexualität traten bereits als Mechanismen der Überwachung und Kontrolle in Erscheinung lange bevor die heute allgegenwärtigen Überwachungstechnologien ausgeformt waren. Neben der unmittelbaren patriarchalen Überwachung und Kontrolle von Frauenkörpern – schließlich galten diese erst als Eigentum und später als Verantwortung von Vätern und Ehemännern – sorgten Familienstrukturen, religiös und moralisch geprägte gesellschaftliche Normen und staatliche Eingriffe auch für die Konstruktion und Aufrechterhaltung eines binären Geschlechterverständnisses mitsamt entsprechender Hierarchien.

Für viele Frauen liegt die patriarchale Überwachung ihrer Körper, ihrer Bewegung oder ihrer politischen und wirtschaftlichen Teilhabe noch längst nicht in der Vergangenheit. Neue Dimensionen ergeben sich hier auch durch die breite Verfügbarkeit von Apps und Plattformen, die Tracking und Stalking von Partner*innen, Familienmitgliedern und anderen Personen vereinfachen, sei es nun “by design” oder durch Zweckentfremdung. Hinzu kommen Formen der Online-Belästigung, die sich oft gezielt gegen Frauen, sexuelle Minderheiten, Feminist*innen und andere Aktivist*innen oder ethnische Minderheiten richten.

Auch die rassifizierte Überwachung kann als eine Technologie der sozialen Kontrolle verstanden werden, die alte Normen (re-)produziert und so mitbestimmt, wer wo (un-)erwünscht ist. Auf den Spuren von Überwachungstechnologien des transatlantischen Sklavenhandels zeigt Simone Browne, Überwachungsforscherin, zum Beispiel auf, dass diese sowohl in der heutigen Überwachungspraxis nachhallen, als auch in Diskurs und Forschung zu Überwachung hoch relevant bleiben.[1] Praktiken der körperlichen Vermessung oder der Brandmarkung von Sklav*innen finden zum Beispiel in der heutigen biometrischen Datenerfassung oder der automatischen Gesichtserkennung ihre Kontinuität. Auch das allgegenwärtige Racial Profiling, besonders von Muslim*innen, an Landesgrenzen wie auf der Straße, wäre kaum denkbar ohne die kolonialen, orientalistischen und rassistischen Logiken die es erst ermöglichen.

Geprägt von Europäischem Aufklärungsdenken, im Zeichen der Rationalität und Objektivität, und von einem zuweilen blinden Glauben an Wissenschaft und Fortschritt behaftet, wurden Daten bereits zu prä-digitaler Zeit fleißig gesammelt. Ganze wissenschaftliche Disziplinen und bürokratische Apparate dienten der Kontrolle von Bevölkerungen, Kolonien und der gewaltsamen Durchsetzung deren institutionellen Ordnung.

Kolonialherrschaft, zum Beispiel, war eng verbunden mit wissenschaftlichem Bevölkerungsmanagement. Um zu regieren, sammelten Kolonialherren möglichst viele Daten über die jeweilige Lokalbevölkerung, schließlich sind Macht und Wissen eng verflochten. Dazu gehörte nicht nur Wissen über geografische Gebiete und politische Strukturen, sondern auch die akribische Kategorisierung und Beschreibung der Menschen und ihrer Gesellschaftsformen. Rassendenken, Gender, Sexualität und Religion spielten dabei eine tragende Rolle.

Die Kolonien dienten als eine Art Labor, wo Überwachungstechnologien getestet und verfeinert wurden bevor sie in Europa zum Einsatz kamen. So führte William J. Herschel, Kolonialbeamter in Britisch-Indien, im 19. Jahrhundert erstmals Fingerabdrücke als biometrisches Identifikationsmerkmal ein.[2] Zurück in England, publizierte er seine Erfahrungen dazu in wissenschaftlichen Zeitschriften und gilt als Pionier des daktyloskopischen Identitätsnachweises. Auch Benthams Entwurf des Panopticon – später popularisiert durch Foucault und längst eine der prägenden Metaphern im Überwachungsdiskurs – wurde nicht etwa in Europa, sondern in Indien unter britischer Kolonialherrschaft erbaut.[3]

Was wir uns heute unter Überwachungstechnologien vorstellen, meist getrieben von großen Mengen elektronischer Daten, ist also höchstens die aktuellste Ausprägung eines abendländlichen Taxonomie-Fetischs mit langer, dunkler Geschichte. Und auch heute wird Überwachung nach David Lyon, schottischer Soziologe, als eine Art der sozialen Sortierung[4] charakterisiert, die Menschen in Kategorien einteilt und anhand aggregierter Daten, nicht zuletzt zu Merkmalen die über Gender, sozio-ökonomische Schicht, Ethnizität oder Religion Aufschluss geben, Wert oder Risiko zuschreibt und sich an Zukunftsprognosen zu terroristischen Neigungen, Verbrechen oder Konsumverhalten versucht.

Nicht zuletzt hat Überwachung heute, wie auch im Laufe der hier kurz angerissenen geschichtlichen Kontinuitäten, viel mit Sehen und Gesehenwerden zu tun. Die Modalitäten des Sehens, also wer sieht, wer gesehen wird und welche Brille dabei aufgesetzt wird, sind ebenso intersektional geprägt wie die Überwachungspraxis an sich. Dass nicht nur die direkte Überwachung und Kontrolle von Frauenkörpern, sondern auch die jeder Datenerhebung zugrunde liegende Wissenschaftsgeschichte und Erkenntnistheorie stark von einem männerdominierten Blickwinkel geprägt ist, liegt nahe.

Begleitet von kolonialen und rassistischen Sichtweisen, wird Überwachung damit zu einer Instanz des “god trick of seeing everything from nowhere”, wie Donna Haraway eine zu neutraler Objektivität erhobene weiße und männliche Sichtweise in ihrem Plädoyer für situierte Wissensproduktion beschreibt.[5] Auch Überwachungsdaten sind stets unvollständig, bedingt und lokal verortet. Die blinden Flecken, die durch eine intersektionale Betrachtung sichtbar(er) gemacht werden, verhelfen uns zu einem besseren Verständnis der Überwachungslandschaft. Der Fokus rückt dabei von einzelnen Überwachungstechnologien und den Überwachungspraktiken von Staaten oder Konzernen zu den Machtverhältnissen, die Überwachung untermauern.

 

[1] Simone Browne (2015). Dark Matters: On the Surveillance of Blackness. Duke University Press.

[2] Ahmad H. Sa’di (2012), Colonialism and Surveillance. In: Routledge Handbook of Surveillance Studies, p. 151

[4] David Lyon (2003), Surveillance as social sorting: computer codes and mobile bodies. Routledge.

[5] Donna Haraway (1988), https://philpapers.org/archive/HARSKT.pdf (download)