Anne-Klein-Frauenpreis 2019

Rede

Mit dem Anne-Klein-Preis ehren wir als Jury dieses Jahr stellvertretend für alle Mitstreiterinnen Natascha Nicklaus, Nora Szász und Kristina Hänel dafür, dass sie für das Recht aller Frauen und Ärzt*innen kämpfen.

Barbara Unmüßig

Herzlich Willkommen zur Preisverleihung des Anne-Klein-Preises 2019. Es ist bereits das 8. Mal, dass wir diesen von Anne Klein gestifteten Preis verleihen.

„Wer öffentlich […] seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs […] anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ §219a des Strafgesetzbuches.

Wegen dieses Paragraphen wurden Ärztinnen und Ärzte wie unsere drei Preisträgerinnen angefeindet, angezeigt und in Kristina Hänels Fall auch verurteilt.

Sie informieren auf ihren Webseiten darüber, dass sie Schwangerschaftsabbrüche in ihren Praxen vornehmen. Alle drei weigern sich, die Informationen über diese ärztlichen Leistungen von ihren Webseiten zu entfernen und streiten vor Gericht und in der Öffentlichkeit lautstark für den freien Zugang zu medizinisch fachlichen Informationen für Frauen, für die freie Berufsausübung von Ärztinnen und Ärzten, und damit für die Abschaffung des Paragrafen 219a.

§219a muss weg.

Das ist und bleibt die Forderung eines breiten Bündnisses, auch nach dem sogenannten großkoalitionären Kompromiss. Schwangerschaftsabbruch auf den Webseiten erwähnen zu dürfen, aber nicht über Methoden und Risiken informieren zu dürfen, das nehmen wir nicht hin. Der Paragraf verletzt nach wie vor die Grundrechte auf Berufs- und Informationsfreiheit. Er verletzt das Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und das Recht auf Gleichberechtigung. Er kriminalisiert weiterhin Ärztinnen und Ärzte, die verantwortungsbewusst und zum Wohle ihrer Patientinnen ihren Beruf ausüben. Nicht zuletzt verletzt dieser Paragraf das Menschenrecht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung.

Er muss weg. Jetzt. Sofort. Und ohne faule Kompromisse.

Natascha Nicklaus, Nora Szász und Kristina Hänel stellen sich seit längerem mutig, mit Haltung, an die Spitze der Debatte. Mit Ihnen streiten viele Frauen, Feministinnen, Politiker und Politikerinnen für die Abschaffung dieses Paragrafen. Mit dem Anne-Klein-Preis ehren wir als Jury dieses Jahr stellvertretend für alle Mitstreiterinnen diese drei Frauen dafür, dass sie für das Recht aller Frauen und Ärzt/innen kämpfen.

Sie sind Pionierinnen mit dem immensen Verdienst, dass diese Gesellschaft überhaupt wieder hingeschaut hat, wie und unter welchen Bedingungen Frauen Zugang zu Abtreibungen haben und welche Zumutungen damit immer noch für Frauen und Ärzt/innen einhergehen, weil es diesen Paragrafen 219 gibt.

Wer die Kriminalisierung durch diesen Paragrafen thematisiert, setzt sich leider auch massiven Anfeindungen aus. Wir möchten mit diesem Preis unsere Solidarität bekunden, die ihr zum Glück ebenfalls und tausendfach erfahren habt.

Sich einmischen, Unrecht nicht akzeptieren, sich nicht beirren lassen - das ist immer auch Leitmotiv des politischen Lebens Anne Kleins gewesen. Eurer Engagement hat uns als Jury an Anne Klein und viele ihre Mitstreiterinnen erinnert.

1993 gab es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das zu einer Übergangsregelung führte und dazu, dass vor allem Ausländerinnen und sozial schwache Frauen keine Finanzierung von Abtreibungen über Sozialhilfe erhalten konnten. Anne war entrüstet. Sie wollte, dass Frauen ohne Angst und ohne Sorge um Geld frei und selbstbestimmt Entscheidungen treffen konnten. Und auch der soziale Druck war damals noch enorm groß. Renate Künast, Jurymitglied und Freundin Anne Kleins, berichtete, wie sie gemeinsam mit Anne am Pfingstwochenende 1993 im Abgeordnetenhaus saßen, hunderte Briefe eintüteten, telefonierten und Unterstützer/innen zusammentrommelten, um Unterstützung für die Kampagne der Frauen zu organisieren.

1990 war Anne Klein Senatorin für Frauen, Jugend und Familie in Berlin. In einer Rede im Abgeordnetenhaus sagte sie, als es darum ging, ob die Strafbarkeit von Abtreibungen auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgedehnt werden sollte: „Das darf nicht geschehen und wird nicht geschehen“ – leider hatte sie unrecht. Der Westen hat ein weiteres Mal obsiegt und das Fristenlösungsmodell der DDR nicht in den Einigungsvertrag aufgenommen.

„Strafe nützt nichts, Strafe schützt nicht – im Gegenteil“, sagte Anne in der gleichen Rede im August 1990. Und ihre damalige Kollegin im Berliner Senat, Jutta Limbach sekundierte an gleicher Stelle: es „geht um den Rückzug des Strafrechts aus einem Bereich, in dem es nicht fruchtet, sondern Konflikte nur verschärft. Die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen haben wir noch lange nicht geschafft.“ Leider bis heute nicht.

Wir, die Jury, sind uns sehr sicher, dass Anne solidarisch an der Seite der Ärztinnen kämpfen würde.

Wie sie argumentieren sie wider die Bevormundung und Kriminalisierung von Frauen und für die Selbstbestimmung über unsere Körper. Dafür braucht es auch sachliche und umfassende Informationen und garantiert ein Umfeld ohne Not und Sorgen und freien medizinischen Zugang überall. Was wir nicht brauchen sind Mythen, Diffamierung und die Drohung von Strafverfahren.

Die Gesetzesänderung der Großen Koalition geht definitiv nicht weit genug, denn sie verbietet Mediziner/innen weiterhin, ihre Patientinnen umfassend über einen medizinischen Eingriff zu informieren. Sie hat das Misstrauen gegen Ärztinnen und die Bevormundung von Frauen also nicht ausgeräumt. Sexuelle und reproduktive Rechte sind auch in Deutschland im Jahr 2019 keine Selbstverständlichkeit ist. 

Deshalb: Mit Frauen wie euch kämpfen wir weiter - für reproduktive und sexuelle Rechte, für Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung.

Wir danken euch von ganzem Herzen und mir und uns als Jury ist es eine Ehre, den Anne-Klein Frauenpreis 2019 an Euch zu verleihen.
Wir gratulieren euch sehr herzlich und hoffen, der Preis ist ein Ermutigung für euch.