Der Gegenschlag: Rechte Geschlechterpolitik in Griechenland

Antifeministische, Anti-LGBTIQ+- und Anti-Gender-Mobilmachungskampagnen prägen in zahlreichen Ländern zunehmend die politische Landschaft. Dabei werden die Konzepte von Gender- und Gender+-Ansprüchen als Bedrohung für den Wohlstand nationaler Gemeinschaften und ihrer Mitglieder dämonisiert. Gleichzeitig bringen aufgrund der Pandemiekrise umgesetzte institutionelle Veränderungen Gruppen in Gefahr, die wegen ihrer geschlechtlichen Identitäten und Lebensweisen besonders verletzbar sind. Neben dem Rückschlag im Bereich Geschlechtergleichstellung, den auch die EU anerkennt, hat eine derartige Mobilmachung einen die Gesellschaft verändernden Charakter, wie David Paternotte feststellt, indem sie neue Formen von Autoritarismus und sozialer Ungerechtigkeit legitimiert. Der Fall Griechenland zeigt, dass diese Mobilmachungskampagnen auch aus älteren politischen Konflikten herrühren und, dass man sie als Teil größerer Kämpfe für ideologische, politische und soziale Hegemonie einordnen und betrachten sollte.

Greek flag with cross

Das geschlechterpolitische Schlachtfeld

In den letzten Jahren haben sich in Griechenland neue Grabenkämpfe um das Thema Geschlechterpolitik entwickelt. Einerseits fordern Feminist*innen und LGBTIQ+ Bewegungen, die oftmals von den Linken unterstützt werden, mehr Rechte und Gerechtigkeit. Andererseits werden Rechte, die lange für selbstverständlich hingenommen wurden, wie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, plötzlich und überraschend in Frage gestellt. Gleichzeitig hat der politische Gegenschlag der Rechten, der sich im Wahlsieg der Partei Nea Dimokratia (Neue Demokratie) bei den Wahlen 2019 niederschlug, den bis dato vorherrschenden Optimismus, dass es nur noch Fortschritte auf dem geschlechterpolitischen Weg geben werde, entzaubert. Die Wahrheit ist, dass konservative, geschlechterbezogene Diskurse und Reaktionen, die vorwiegend von Seiten der orthodoxen Kirche und der Rechten kommen, niemals aus dem Land verschwunden sind. Gleichzeitig ist die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern im Vergleich zum EU-Durchschnitt äußerst schwach ausgeprägt; in Bezug auf homophobe und transphobe öffentliche Meinungsäußerungen rangiert das Land hingegen an der Spitze.

Unter dem Druck nationaler sozialer Bewegungen und der EU, insbesondere zu Zeiten der SYRIZA-ANEL Regierung, und trotz der begründeten Kritik der linken Partei an SYRIZA, nicht mutig genug zu sein, sind dennoch eine Reihe von Gesetzen und Maßnahmen zur Förderung von Frauen- und LGBTIQ+ Rechten erlassen worden: Gleichgeschlechtliche Ehe (2015), rechtliche Anerkennung der selbstbestimmten Geschlechtsidentität (2017), Themenwoche „Geschlechtsidentitäten“ in der Sekundarstufe (2017), Recht auf Kindererziehung durch gleichgeschlechtliche Paare (2018), Ratifizierung der Istanbul Konvention (2018) und eine 40%ige Frauenquote bei Wahlen (2019). Die vorbenannten Regeln wurden nicht ohne, sondern trotz einer Gegenreaktion möglich. Gleichzeitig entstand ein neuer konservativer Gegenwind und es bleibt abzuwarten, inwieweit und in welcher Form sich dieser zu einer dauerhaften Bewegung entwickeln wird.

 

Wer sind nun die Akteur*innen dieser konservativen Gegenbewegung?

Die orthodoxe Kirche

Die orthodoxe Kirche ist schon lange ein Hindernis für progressive Geschlechterpolitik in Griechenland. Unter dem Einfluss orthodoxer Kreise und Vereinigungen, mit einer langen Geschichte konservativer und rechtsextremer Vorstellungen, hat sie in der Vergangenheit mit der Junta kooperiert und stellt sich vehement dem liberalen Flügel der ökumenischen Theolog*innen innerhalb der Kirche entgegen. Seit einiger Zeit machen diese konservativen Kräfte nun wieder mobil, haben die formelle Stimme der Kirche übernommen und versuchen jüngst verabschiedete Rechtsvorschriften im Bereich Geschlechtergleichstellung auszuhebeln und ihre konservativen Anliegen der Bevölkerung gegenüber zu propagieren.

So legten 2016 orthodoxe Gruppen – ohne Erfolg – beim griechischen Staatsrat Berufung gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ein, indem sie behaupteten, dass diese gegen die Verfassung und allgemeine Sittlichkeit verstoße. 2017 richteten orthodoxe Verbände in Athen eine „interdisziplinäre“ Konferenz zum Thema Geschlechtsidentität aus, auf der sie das soziale Geschlecht, selbstbestimmte Geschlechtsidentitäten und Homosexualität aus medizinischer, psychiatrischer, rechtlicher und theologischer Sicht ablehnten. Ferner beantragten die Heilige Synode1 und die Mönchsrepublik Berg Athos offiziell die Rücknahme des Gesetzentwurfs zur selbstbestimmten Geschlechtsidentität. Verschiedene Bischöfe stellten sich außerdem gegen das Unterrichten von „Geschlechtsidentitäten“ an Schulen. Anfang 2017 rief eine regionale Kirche die Elternverbände auf, die Elternschaft zu mobilisieren und ihre Kinder vom entsprechenden Unterricht zu befreien. Schließlich entstand 2018 in Griechenland eine neue „Pro-Life-Bewegung“ unter dem Namen „Lasst mich leben“. Diese wurde von orthodoxen Verbänden und Elternvereinigungen ins Leben gerufen. Das erklärte Ziel ist es, durch die Verteidigung der Rechte des ‚ungeborenen Kindes‘ und zur Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen durch entsprechende Aufklärung die Achtung für das menschliche Leben zu fördern. In Zusammenarbeit mit lokalen christlichen Vereinigungen in unterschiedlichen Städten organisiert die Bewegung Veranstaltungen gegen Schwangerschaftsabbrüche. Oftmals wird dabei der nationale demographische Bedarf nach mehr „griechischen“ Kindern mit der Notwendigkeit der Reduzierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Verbindung gebracht. 2019 wurde der Gesuch der Bewegung durch die Heilige Synode erfüllt und der erste Sonntag nach Weihnachten zum ‚Tag des Ungeborenen Lebens‘ erklärt. Im Januar 2020 wurden „Lasst mich leben“-Poster in der Athener U-Bahn aufgehängt, was zu großem Unmut und zu deren Entfernung am Folgetag führte.

Die aufstrebende extreme Rechte

Rechte Organisationen haben sich schon immer offen gegen Feminismus und das Genderkonzept ausgesprochen. Gleiches gilt für Homosexualität und selbstbestimmten Geschlechtsidentität. Sie fordern, dass die heterosexuelle Familie, sowie die Mutterschaft gegen die niedrige Geburtenrate, die angeblich ein Fortbestehen der Nation gefährde, zu verteidigen seien. Für Mobilisierungskampagnen auf der Straße und in ihren Argumentationslinien tun sie sich häufig mit der Kirche zusammen. 2018 und 2019 haben rechtsextreme Gruppen gegen die LGBTIQ+ Pride begrenzte Straight-Pride- Märsche organisiert. Darüber hinaus haben sie 2017 am Tag seiner Verabschiedung eine Demonstration gegen das Gesetz zur selbstbestimmten Geschlechtsidentität veranstaltet. Die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte, damals noch im Parlament, legte Beschwerde wegen Verfassungswidrigkeit ein und unterstützte das offizielle Argument der Kirche, dass das Gesetz zur selbstbestimmten Geschlechtsidentität dem verfassungsrechtlichen Schutz der traditionellen Familie, Ehe und Moral widerspreche. Allgemeinhin stimmte die Goldene Morgenröte im Parlament gegen sämtliche Gesetzesvorhaben zur Förderung von Geschlechtergleichstellung und Gleichstellungsrechten. Andererseits unterstützte die Partei ANEL (Unabhängige Griechen) - trotz ihrer konservativen und nationalistischen Ansichten - in der Regierungskoalition mit SYRIZA wesentliche Gesetzesvorhaben, nicht jedoch den 2019 eingebrachten Gesetzentwurf über das Recht gleichgeschlechtlicher Paare auf Kindererziehung. ANEL hatte zu diesem Zeitpunkt die Regierung bereits verlassen und hielt es für nutzbringender, die konservativen Mitglieder und Wähler*innen zufrieden zu stellen.

In der extremen Rechten hat es unterdessen zwei interessante Entwicklungen gegeben: Erstens, die Teilnahme und Mobilisierung einer wachsenden Zahl von Frauen an nationalistischen Aktivitäten, allerdings immer mit einer antifeministischen Rhetorik. Außer in der Goldenen Morgenröte wirken Frauen auch in anderen rechtsextremen Organisationen und neuen Mobilmachungskampagnen gegen das Prespa-Abkommen über den Namen Nord-Mazedonien mit. Frauen marschieren mit ihren Kamerad*innen durch die Straßen, sind in der Organisation von Veranstaltungen und Kampagnen aktiv, machen Online-Propaganda und werben für eine weibliche Identität abseits feministischer Forderungen. Diese ist auf die Reproduktion und die Verteidigung der Nation gegen äußere und innere Feinde ausgerichtet, wobei Feminismus als ein solcher Feind dargestellt wird.

Zweitens führen der soziale Druck für die Akzeptanz von LGBTIQ+-Rechten und die Notwendigkeit, ein weniger gewaltsames und öffentlichkeitsfreundlicheres Gesicht zu zeigen dazu, dass sich die extreme Rechte zum Teil von Hassreden gegen LGBTIQ+ Personen distanziert. Rechtsextreme, wie Failos Kranidiotis von der Partei Nea Dexia (Neue Rechte) - von der rechten Regierungspartei aufgrund homophober Aussagen ausgeschlossen - oder Lefteris Panousis, ein Intellektueller der Partei ELASYN - von hochrangigen Mitgliedern der Goldenen Morgenröte 2019 gegründet – haben jüngst ein Narrativ eingeführt, das relativ tolerant gegenüber Homosexualität ist, allerdings nur so lange sie im Privatleben verbleibt. Das gibt ihnen die Möglichkeit, die Forderungen nach Sichtbarkeit und Gleichberechtigung von LGBTIQ+ Personen abzulehnen, lächerlich zu machen und anzugreifen.

Die neoliberale Rechte in der Regierung

Die Nea-Dimokratia-Regierung unter einem (neo)liberalen Premierminister, der von führenden rechtsextremen Parteimitgliedern umgeben ist, hat den Rechtsruck der Mitte-Rechts-Partei in den letzten Jahren fortgeführt und ist nun dabei, eine zunehmend autoritäre und neoliberale Agenda zu implementieren. Bei Geschlechterthemen schwankt die Regierung zwischen liberalen und konservativen Tendenzen. Auf die heftige Kritik, dass es in seinem Kabinett an Frauen mangele, erwiderte der Premierminister zunächst, er hätte nicht genug politisch interessierte Frauen finden können. Die Berufung der ersten Frau zur Präsidentin der Republik führte dann zur Förderung eines liberaleren Profils. Seit den Wahlen erfüllt die Politik der Nea Dimokratia viele Forderungen der konservativen Rechten und der Kirche und stellt sich damit gegen die Geschlechter- und Demographie-Agenda der vorangegangenen Regierung. So stimmte die Nea Dimokratia beispielsweise gegen eine explizite Bezugnahme in der Verfassung auf Gleichstellung unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Ferner strich sie das Thema ‚Geschlechtsidentitäten‘ vom Lehrplan in den Schulen und führte gleichzeitig einen Sonderbonus von 2.000 EUR für jedes neugeborene Kind im Land ein, um die Geburtenrate zu steigern. Für eingewanderte Eltern wurden dabei jedoch strenge Regeln festgesetzt. Andererseits begünstigt die Regierung einen Diskurs, der Gleichstellungsrechte eng an den Markt und die wirtschaftliche Entwicklung knüpft und der allgemeine Themen der sozialen Gleichstellung ausblendet. In diesem Zusammenhang wurde das Generalsekretariat für Geschlechtergleichstellung an das Ministerium für Arbeit übertragen, und LGBTIQ+ Rechte wurden erst kürzlich auf der internationalen Konferenz für ‚Menschenrechte in der Wirtschaft‘ im Juni 2020 gewürdigt.

Von old right zu alt-right: Das Streben nach Hegemonie

Während die Nea Dimokratia versucht, ein Gleichgewicht zwischen Liberalismus und Konservatismus herzustellen, werden die Geschlechtergleichstellungsrechte im Kampf gegen die linken und sozialen Bewegungen instrumentalisiert. Daher ist es kein Zufall, dass ein Abgeordneter der Nea Dimokratia kürzlich vorschlug, dass es die Rechte sein sollte, die zu gleichgeschlechtlicher Ehe gesetzgeberisch tätig wird. Diese Forderung, die von den meisten rechten Mitgliedern und Wähler*innen nach wie vor abgelehnt wird, komme den homosexuellen Patriot*innen zugute und solle „ein für alle Mal […] die vorgetäuschte Fixierung der Linken auf die Menschenrechte aus dem Weg räumen“.

Diese Aussage passt gut zu einer Strategie, Hegemonie über die linken und anti-neoliberalen Bewegungen zu gewinnen; eine Strategie, die offen von den extrem rechts gerichteten Ministern, Adonis Georgiadis und Makis Voridis, vertreten wird, die sich insbesondere von den neuen rechten Intellektuellen inspiriert fühlen.

Dieser Kampf für die ideologische Herrschaft der Rechten wird durch eine neue Alt-Right-Szene beflügelt, die sich jüngst in Griechenland manifestiert hat und sich vorwiegend in Online-Medien ins Gespräch bringt. Feministischer und LGBTIQ+ Aktivismus sind Hauptzielscheiben ihrer Kritik: Diese werden als unangemessen, dem allgemeinen Menschenverstand widersprechend und den durch Lautstärke und „politische Korrektheit“ öffentlichen Diskurs dominierend und kontrollierend dargestellt. Besagte Szene präsentiert ein alternatives geschlechterpolitisches Narrativ, oftmals poppiger als die traditionelle extreme Rechte, obgleich die Kernwerte die gleichen bleiben: Lobpreisung von Heterosexualität, Familie, Mutterschaft und Geburt von Kindern zur Lösung des „demographischen Problems“ Griechenlands.

Schlussfolgerung

Alles in allem nimmt der antifeministische, Anti-Gender- und Anti-LGBTIQ+ Aktivismus in Griechenland seit einiger Zeit neue, besorgniserregende Formen an. Gleichstellungsrechte werden aufs Neue durch alte und neue, etablierte und marginale, rechte Akteur*innen in Frage gestellt. Ein neuer Diskurs, der systematisch kultiviert und propagiert wird, versucht, die Bedeutung von Geschlecht zu definieren und festzulegen, wer hineinpasst. Gleichzeitig werden Bewegungen und Verfechter*innen von Gleichstellungsrechten als „faschistisch“ und „autoritär“ abgestempelt und ins Visier genommen. Man wirft ihnen vor, die Meinungsfreiheit, die Freiheit des Einzelnen, aber auch die nationale Einheit und den nationalen Wohlstand zu gefährden. Ein solcher Diskurs delegitimiert und dämonisiert die Forderungen nach und die Verfechter*innen von Geschlechtergleichstellung und Gleichstellungsrechten, wodurch die Geschlechterpolitik in eine neue, konservative Richtung geschoben wird.

1Kirchenführung in der Orthodoxen Kirche, https://de.wikipedia.org/wiki/Heiliger_Synod