Was so mutig begann ist nun am Abflauen. Eine Suche nach den internen und externen Gründen
Während westliche Länder ihre Flugzeuge losschickten, um ihre Mitarbeiter*innen und Streitkräfte zu evakuieren, während unter den Menschen in Afghanistan Angst und Verzweiflung herrschte und die ganze Riege der hochrangigen afghanischen Regierungsmitglieder gemeinsam mit dem Präsidenten aus dem Land flohen, betraten plötzlich wir den öffentlichen Raum. Wir kamen ohne Waffen und stellten uns nur mit einem Herz voller Liebe für das eigene Land den Taliban auf den Straßen Kabuls entgegen. Laut und entschlossen erhoben wir unsere Stimme gegen die Bestrebungen, uns Frauen aus der Gesellschaft zu verdrängen, gegen Fundamentalismus, Tyrannei und Misogynie und sagten einer Terrorgruppe den Kampf an, die keinerlei Begriff von Menschlichkeit und Zivilisation hat.
Wir standen weder in Kontakt mit der Regierungsfraktion oder anderen Parteien Afghanistans noch hatten wir Verbindungen zu hochrangigen Persönlichkeiten. Die meisten von uns waren einfach Mädchen und junge Frauen aus der Mitte der Gesellschaft, die bei den politischen Aktivitäten und Bewegungen des Landes bislang noch keine Rolle gespielt hatten. Aber die liberalere Atmosphäre der letzten zehn Jahre hatte uns geprägt. Im Hintergrund wuchsen wir als selbstbestimmte Frauen und Mädchen heran, traten schließlich den Taliban entgegen – und die Welt begrüßte überschwänglich unseren Mut.
Bemerkenswert ist auch, dass wir aus allen ethnischen Gruppen stammten – darunter Hazara, Paschtuninnen, Tadschikinnen und Usbekinnen. Wir organisierten uns, in dem wir Untergruppen bildeten, die jeweils unterschiedliche Ansätzen und Strategien verfolgten, aber für dasselbe gemeinsame Ziel auf die Straße gingen. Wir skandierten Slogans wie „Studium. Arbeit. Freiheit.“ Unermüdlich arbeiteten wir an der Organisation und Gestaltung der Proteste. Da es aufgrund der Gewalt seitens der Taliban nicht immer möglich war, auf die Straße zu gehen, entschlossen wir uns, die Proteste auch zu Hause oder in privaten Innenhöfen weiterzuführen oder uns mithilfe von hochgeladenen Fotos und Videos Gehör zu verschaffen. Nach und nach begann unsere Bewegung sich von Kabul auf andere Städte auszuweiten, bis der Druck so groß wurde, dass die Lage der Frauen in Afghanistan auf sämtlichen internationalen Sitzungen und Konferenzen zur Situation in Afghanistan diskutiert wurde und die Augen der Welt sich auf uns richteten; unsere Entschlossenheit zum gemeinsamen Kampf schien unerschütterlich.
Doch die Taliban reagierten auf die Proteste mit Verhaftungswellen und Folter. Hausdurchsuchungen, Drohungen, das mysteriöse Verschwinden von Mitstreiterinnen sowie offene Morde und Verfolgung führten dazu, dass viele engagierte und gut ausgebildete Frauen ihr Zuhause verlassen mussten und keinen festen Wohnsitz mehr hatten. Manchmal war schon ein Universitätsabschluss für die Taliban Verbrechen genug.
Heute, zwei Jahre nach dem Beginn unserer Proteste, werden die Stimmen der afghanischen Frauen leiser, innerhalb des Landes und mehr noch in der Diaspora. Umso wichtiger erscheint es mir, zu verstehen, welche internen und externen Faktoren und Fehler dazu geführt haben, dass diese mutige feministische Bewegung in Afghanistan am Abflauen ist.
Interne Gründe
Fehlende Erfahrung mit Datensicherheit
In den Jahren vor der erneuten Machtübernahme der Taliban im August 2021 war es Sache des Militärs, gegen die Taliban zu kämpfen. Wenn Frauen in Afghanistan Proteste organisierten, dann fanden diese meist in Form von Versammlungen und Sitzungen statt, die von internationalen NGOs und staatlichen Unterstützungsprogrammen für Frauen unterstützt wurden. Diese Infrastruktur von Hilfsangeboten, an deren Aufbau viele Afghaninnen mitgewirkt hatten, entstand in der Regierungszeit Ashraf Ghanis und zielte darauf ab, Frauen und Mädchen in persönlichen Konfliktsituationen, z. B. in Fällen häuslicher Gewalt oder bei der Verheiratung Minderjähriger juristisch zu unterstützen. Oder sie zu schützen, in dem Frauen in Not z. B. in Safehouses untergebracht wurden. Auf diese Weise gelang es uns, Rechte für Frauen bis zu einem gewissen Grad durchzusetzen.
Wir Widerstandskämpferinnen haben die Wichtigkeit digitaler Sicherheitsstrategien unterschätzt. Die Taliban nicht.
In den ersten Wochen und Monaten nach der Machtübernahme der Taliban war die Lage eine ganz andere: Unsere Protestgruppen im ganzen Land und insbesondere in den Großstädten, bestanden überwiegend aus jungen Frauen. Überall herrschte enorme Angst, und die Sicherheitslage war katastrophal. Das führte dazu, dass unsere Sitzungen sowie die Mobilisierung und Organisation der öffentlichen Kundgebungen überwiegend digital stattfinden mussten. Das wiederum erleichterte es den Taliban, die Demonstrationsorte zu lokalisieren. Häufig wussten sie von den Treffpunkten noch bevor wir selbst dort angelangt waren und zerschlugen unsere Gruppen, bevor es zum Protest kommen konnte.
Wir organisierten uns digital mithilfe verschiedener Chatgruppen, ohne uns ausreichend Gedanken über Datensicherheit zu machen. Informationen wurden ungeschützt ausgetauscht und auch immer wieder Personen in die Chat-Gruppen aufgenommen, ohne dass wir dabei sicher sein konnten, ob es sich wirklich um eine Widerstandskämpferin handelte. Die Folgen waren schlimm: Die Taliban identifizierten nicht nur Protestorte und -zeiten, sondern auch die Namen der Teilnehmerinnen und sogar unsere Wohnorte. Zahlreiche Frauen aus unseren Reihen wurden verhaftet und ausgepeitscht. Doch damit nicht genug.
Mithilfe der beschlagnahmten Telefone unser verhafteten Mitstreiterinnen hatten die Taliban Zugang zu sämtlichen Informationen, die in unseren Gruppen geteilt worden waren. Unwillentlich leisteten wir damit der Infiltration unserer Gruppen durch die Geheimdienste der Taliban Vorschub. Erst rückblickend wurde uns klar, dass wir nach Verhaftungen unsere Telefone hätten wegwerfen müssen. Die Taliban waren nicht mehr so unbedarft wie in den 1990er Jahren: Während viele unter uns Widerstandskämpferinnen die Wichtigkeit digitaler Sicherheitsstrategien unterschätzten, hatten sie sich in Sachen digitaler Kompetenz weiterentwickelt.
Unterwanderung durch Taliban-Spitzel
Ein weiteres Problem, das unseren Kämpfen in Afghanistan ernsthaften Schaden zufügte, war die Unterwanderung unserer Gruppen durch einige wenige weibliche Taliban-Spitzel. Einige von ihnen infiltrierten sogar die Führungsteams. Die Spitzel sorgten dafür, dass sich unter uns Aktivistinnen Angst ausbreitete und das Vertrauen untereinander abnahm. Streit und Schuldzuweisungen waren die Folge. In einer Zeit, in der wir dringend Einigkeit und Zusammenhalt gebraucht hätten, führte das zunehmende Misstrauen zur Auflösung vieler Protestgruppen. Im schlimmsten Fall wurden sogar Standorte von Safehouses in Kabul verraten.
Bittere Armut und Sorge um Sicherheit
Angst um die eigene Sicherheit und Einschüchterungen seitens der Geheimdienstorganisationen der Taliban dürften ein entscheidender Faktor gewesen sein, der einige Frauen zur Zusammenarbeit mit den Taliban bewegt hatte. Einige unserer Mitstreiterinnen wurden während der Demonstrationen von Soldaten der Taliban drangsaliert. Für ihre Freilassung, um Folter zu entkommen oder aber aus Angst, man könnte ihren Familien Schaden zufügen, ließen sie sich manchmal auf eine Zusammenarbeit mit den Taliban ein.
Da es Frauen von nun an verboten war, arbeiten zu gehen, traf die bittere Armut außerdem vor allem Familien, in denen es kein männliches Oberhaupt gab und in denen Frauen die einzigen Erwerbstätigen gewesen waren. Um die eigene Familie durchzubringen, nahmen einige unserer Mitstreiterinnen die Angebote der Taliban an und wurden z. B. in Gefängnissen oder an anderen Orten als Sittenpolizei aktiv.
Externe Gründe
Die Rolle afghanischer Exilpolitikerinnen
Ein Faktor, der den Charakter der Demonstrationen schnell veränderte, waren die Versuche einiger ehemals hochrangiger Politikerinnen, die Protestgruppen der Frauen innerhalb Afghanistans zu beeinflussen. Als die Taliban das Land zurückeroberten, waren diese Frauen aufgrund ihrer guten Beziehungen ins Ausland, die sie im Laufe ihrer Amtszeiten aufgebaut hatten, die ersten gewesen, die aus dem Land flohen. In der Vergangenheit hatten sie sich als Heldinnen inszeniert, die für die Rechte der Frauen in Afghanistan streiten. Jetzt überließen sie die verbliebenen Frauen und Mädchen einfach sich selbst.
Als dann die Bilder und Videos von dem mutigen Widerstand der afghanischen Frauen durch die internationalen Medien gingen und die Welt applaudierte, gerieten just diese Frauen aus dem internationalen Blickfeld. Wie sich später in Gesprächen herausstellte, hatten die Bilder von den protestierenden Frauen aus den ärmlichen Stadtteilen bei einigen von ihnen Schuldgefühle ausgelöst. Um ihr Gewissen zu erleichtern, nahmen sie Kontakt zu den Anführerinnen in Afghanistan auf und gewannen unser Vertrauen: Sie sagten uns finanzielle Unterstützung zu oder nahmen Kontakt zu Mitstreiterinnen auf, die bereits mit den Taliban in Konflikt geraten waren, und halfen ihnen das Land zu verlassen.
Unser Vertrauen in jene Frauen, die jahrelang im Rahmen politischer Projekte westlicher Länder im Bereich Frauenrechte und Gesellschaft gearbeitet hatten, führte letztlich zu Uneinigkeit und Streit in unseren Gruppen. Ein Teil der Widerstandsgruppen spaltete sich auf, und Aktivistinnen fingen an, sich gegenseitig zu bezichtigen, Geld für die Fortsetzung der Proteste angenommen zu haben. Viel zu viel Energie wurde darauf verwendet, sich voreinander zu rechtfertigen. Tatsächlich veränderte sich nach und nach auch die Motivation, bei den Protestgruppen mitzumachen. Waren die Aktivistinnen zunächst auf die Straße gegangen, um in Afghanistan für ihre Rechte einzutreten, taten einige von uns dies nun, um möglichst schnell das Land verlassen zu können.
Letztlich erreichten die Auseinandersetzungen einen Punkt, an dem die Zerwürfnisse unter den Frauen auch nach außen drangen und sogar Geheimdienstgruppen der Taliban von den Uneinigkeiten erfuhren und sich angesichts dieser Schwäche verstärkt bemühten, die Kreise der protestierenden Frauen zu unterwandern.
Fehler der UN-Abgesandten in Afghanistan
Die Abgesandten der UN und anderer Institutionen, die zu Gesprächen nach Afghanistan geschickt wurden, trafen Vertreterinnen der Protestbewegungen zu drei- bis vierstündigen Sitzungen in Kabul. Während dieser Sitzungen wurde die Gelegenheit versäumt, mit den Frauen über Sicherheitsrisiken und die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen sowohl im digitalen als auch im analogen Raum zu sprechen. Die Vertreter internationaler Organisationen hatten diesen entscheidenden Punkt offenbar schlicht vergessen.
Fluchthilfe als einziges Angebot der internationalen Gemeinschaft
Ein weiterer Faktor, der unsere Proteste schwächte, war die breite und beständige Ermutigung aus dem Ausland, Afghanistan zu verlassen. Unter uns verstärkte sich der Eindruck zu jedem Zeitpunkt in unmittelbarer Lebensgefahr zu schweben. Einige Mitstreiterinnen, die ausreisten, bedachten die Lage der anderen nicht und wurden so zum Sicherheitsrisiko.
Die internationale Gemeinschaft muss endlich sichere und glaubwürdige Beziehungen zu den widerständigen Frauen aufbauen, die im Land geblieben sind
Andere, die gerade noch auf den Straßen Kabuls demonstriert hatten, waren, kurz nachdem sie das Land verlassen hatten, auf Fotos von internationalen Konferenzen zur Lage Afghanistans zu sehen. Die Taliban nutzten diese Bilder, um unsere Proteste zu diskreditieren und den jungen Frauen vorzuwerfen, es gehe ihnen lediglich darum, leichter Asyl beantragen zu können. Die Folge war, dass die Frauen während der letzten Demonstrationen in Afghanistan von Passanten und Ladenbesitzern auf der Straße beleidigt und verspottet wurden. Es gab Fälle, in denen gewöhnliche Leute die Taliban bei der Festnahme der Frauen und Mädchen unterstützten. Familien, deren Töchter in den Medien als Demonstrantinnen zu sehen waren, wurden von Vermieter*innen und Nachbar*innen unter Druck gesetzt und gezwungen, ihr Haus oder auch das Viertel zu verlassen. Ihnen wurde vorgeworfen, die Sicherheit ihrer Familien und der Nachbarschaft zu gefährden. Einige wurden von ihren Familien und Ehemänner geschlagen oder es wurde ihnen mit Scheidung gedroht, wenn sie weiter demonstrierten und Interviews gäben. All das trug dazu bei, dass die Proteste in Afghanistan von Tag zu Tag weiter abflauten, die Stimmen der Frauen leiser wurden und die Taliban ihre frauen- und menschenfeindlichen Gesetze selbstbewusster vorantreiben konnten.
Ein zentraler Unterschied zwischen den Forderungen der iranischen Frauen und ihren Protesten und unseren, ist die Perspektive der iranischen Frauen: An Brot, Arbeit und Bildung fehlt es ihnen in der Islamischen Republik eher selten. Sie streben eine ideologische Veränderung innerhalb der Regierung des Landes an und für diese Veränderung nutzen sie alle Druckmittel, die ihnen zur Verfügung stehen: Von der Produktion digitaler Inhalte, über Konferenzen bis hin zu wirkmächtigen Hashtags gelang es den Iraner*innen in kürzester Zeit weltweit Solidarität und Aufmerksamkeit für ihre Sache zu gewinnen. Ihr Einfluss reichte so weit, dass es ihnen gelang, die größte Protestkundgebung für den Regimewechsel in Berlin auf die Beine zu stellen. Unterdessen demonstrieren die Frauen Afghanistans für Brot, Arbeit, die Teilnahme an gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten und für ihr Überleben – selbst, wenn das für uns ein Arbeiten und Überleben unter der Herrschaft der Taliban bedeuten würde.
Die Proteste der Frauen im Iran
Ein weiterer entscheidender Grund für den Rückgang der Proteste der afghanischen Frauen in- und außerhalb des Landes waren die landesweiten Proteste, die sich ab September 2022 im Iran ereigneten. Der Tod Jina Mahsa Aminis nach ihrer Festnahme durch die iranische Sittenpolizei sorgte in weiten Teilen der iranischen Bevölkerung für Wut und Empörung.
Frauen und Männer gingen Seite an Seite gegen die religiöse Diktatur im Iran auf die Straße und sie nutzen alle ihnen zur Verfügung stehenden Plattformen, um auf das, was sich in ihrem Land ereignete, aufmerksam zu machen und sich zu organisieren. Obwohl auch die Iraner*innen auf den Straßen mit massiver Gewalt konfrontiert waren und manche sogar getötet wurden, dachten sie nicht daran, das Land zu verlassen. Auch seitens der internationalen Gemeinschaft gab es im Gegensatz zu Afghanistan keine Bestrebungen, die Protestierenden zur Flucht zu animieren.
Ein zentraler Unterschied zwischen den Forderungen der iranischen Frauen und ihren Protesten und unseren, ist die Perspektive der iranischen Frauen: An Brot, Arbeit und Bildung fehlt es ihnen in der Islamischen Republik eher selten. Sie streben eine ideologische Veränderung innerhalb der Regierung des Landes an und für diese Veränderung nutzen sie alle Druckmittel, die ihnen zur Verfügung stehen: Von der Produktion digitaler Inhalte, über Konferenzen bis hin zu wirkmächtigen Hashtags gelang es den Iraner*innen in kürzester Zeit weltweit Solidarität und Aufmerksamkeit für ihre Sache zu gewinnen. Ihr Einfluss reichte so weit, dass es ihnen gelang, die größte Protestkundgebung für den Regimewechsel in Berlin auf die Beine zu stellen. Unterdessen demonstrieren die Frauen Afghanistans für Brot, Arbeit, die Teilnahme an gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten und für ihr Überleben – selbst, wenn das für uns ein Arbeiten und Überleben unter der Herrschaft der Taliban bedeuten würde.
Die ergebnislosen Bemühungen internationaler Organisationen
Vertreter*innen wichtiger internationaler Organisationen, darunter der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA), kamen nach Afghanistan und motivierten die Frauen, die Proteste weiterzuführen, indem sie ihnen ein offenes Ohr schenkten und auch Versprechungen machten. Anderthalb Jahre später wurde dann immer deutlicher, dass ihre Bemühungen die Situation nicht verbessern konnten. Frauenfeindliche Gesetze wurden verabschiedet, minderjährige Mädchen zwangsverheiratet, Suizide, Vergewaltigungen und Morde waren weiterhin an der Tagesordnung. Fehlende Ergebnisse führte zu einem Verlust des Vertrauens in die Unterstützer*innen im Ausland. Unsere Hoffnungen, internationale Organisationen könnten etwas an dem Zustand der Geschlechterapartheid in Afghanistan ändern, wurden enttäuscht.
Schluss
All die genannten Faktoren haben zur Schwächung des Kampfgeistes unter uns afghanischen Frauen beigetragen und sollten in der Geschichte der Frauenproteste dieses Landes festgehalten werden. Es sei an dieser Stelle noch einmal auf die Untätigkeit der Weltgemeinschaft hingewiesen: Sie sieht den Ereignissen in Afghanistan zu, ohne eine Vision für die Zukunft des Landes zu haben. Warum werden die Probleme in Afghanistan so zögerlich angegangen? Die Antwort scheint leider simpel zu sein: Die Taliban stellen heute für die Weltgemeinschaft keine Gefahr mehr dar. Ihre erneute Präsenz in Afghanistan hat weder den USA noch dem Rest der westlichen Welt unmittelbar geschadet. Warum also Druck auf sie ausüben?
Wenn weiterhin bloß zugeschaut wird, wie wir Frauen – die einzige Gruppe, die Widerstand gegen die Taliban leistet – aus der Gesellschaft vertrieben, wie wir verhaftet und getötet werden, wird die Herrschaft der Taliban nach und nach zur neuen Normalität werden. Leider ist fast das einzige, was die Weltgemeinschaft für die protestierenden Frauen in Afghanistan tut, sie aus dem Land zu holen. Afghanistan verliert so die oppositionellen Stimmen und genau die Menschen, die jahrelang für ein Leben in diesem Land studiert und gekämpft haben.
Die internationale Gemeinschaft muss endlich sichere und Vertrauen schaffende Beziehungen zu den widerständigen Frauen aufbauen, die im Land geblieben sind. Sie wissen am besten über die Situation vor Ort Bescheid und ihre Erfahrungen unter den Taliban sollten definieren, welche Maßnahmen ergriffen werden, um die Situation der Frauen zu verbessern. Die Aufgabe der Frauen im Exil sehe ich darin, den Kontakt zu den Frauen innerhalb des Landes zu halten, vor allem zu jenen in den abgelegenen Städten und Dörfern, um alles zu dokumentieren, was dort vor sich geht. Sie müssen zum Sprachrohr ihrer Geschlechtsgenossinnen werden. Das Wichtigste ist jedoch, dass protestierenden Frauen Afghanistans solidarisch untereinander sind und sich nicht gegenseitig sabotieren. Sie müssen weiterhin alles daran setzen, den Widerstand gegen das unmenschliche Regime der Taliban aufrechtzuerhalten; die Stimmen des Protests dürfen in Afghanistan nicht verstummen.
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Aus dem Persischen übersetzt von Sarah Rauchfuß.
Dieser Artikel ist Teil des Dossiers Feminist Voices Connected.