LGBTI und Rechtspopulismus in Europa

Podium:  Volker Beck, Mitglied des Bundestages, Bündnis 90/ Die Grünen     Jayrôme C. Robinet, Schriftsteller und Empowerment-Trainer     Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin     David Cupina, Europarat, Vorstand der Vereinigungen 'Les Oublié-e-s' und FestiGays

Traditionell geben LGBTI-Wähler/innen eher grünen, sozialdemokratischen oder linken Parteien ihr Kreuz an der Wahlurne. Allerdings verzeichnen auch immer mehr rechtspopulistische Parteien in Europa einen wachsenden Zuspruch von LGBTI-Wähler/innen. Die „Neue Rechte“ erscheint in einem „modernen“ Gewand und schmückt sich -zum Beispiel- mit homosexuellen Parteiverantwortlichen. Welche Rolle spielen LGBTI heute in der Strategie der europäischen Rechten und sind sie noch Zielscheibe rechtspopulistischer Ideologien?

 

Wie rechtspopulistische Parteien um LGBTI-Wähler/innen werben

Lange wurde im Zusammenhang von LGBTI und Rechtspopulismus nur über homophobe Rhetorik und Gewalt von rechts außen gesprochen. Lesben und vor allem Schwule waren und sind Opfer und Zielscheibe von Rechtsextremisten. Mit der „Neuen Rechten“ in Europa haben sich die Beziehungsgeflechte allerdings ausdifferenziert. Zunehmend findet man „geoutete“ Homosexuelle als Parteiverantwortliche in rechtspopulistischen Bewegungen, die selbst gegen Minderheiten, oftmals muslimische, hetzen.

Die Zahlen scheinen dabei auf den ersten Blick überraschend. Als Marine Le Pen mit ihrem „Front National“ bei den letzten französischen Regionalwahlen im Dezember 2015 einen historischen Erfolg im ersten Wahlgang erzielte, stimmten überdurchschnittlich viele homosexuelle Wählerinnen und Wähler und für den rechtsnationalen Front National, wie eine 2016 veröffentlichte Studie der Sciences Po Paris ergab. Mit 32 Prozent gaben mehr gleichgeschlechtliche Paaren dem „Front National“ ihre Stimme, als heterosexuelle Paare mit „nur“ 28 Prozent. Noch eindrücklicher ist der Vergleich der Zahlen von homosexuellen Männern, die mit 38 Prozent für den „Front National“ stimmten, im Gegensatz zu 30 Prozent der heterosexuellen Männer. Dies erscheint wie ein Widerspruch in sich. Traditionell geben LGBTI-Wähler/innen eher sozialdemokratischen oder linken Parteien ihr Kreuz an der Wahlurne, können sie sich doch eher von progressiven Parteien ein Umsetzen der eigenen politischen Interessen erhoffen, d.h. die rechtliche und soziale Gleichstellung von Homosexuellen. Allerdings scheint sich dieser Trend in den letzten Jahren umzukehren. So verzeichnen immer mehr rechtspopulistische Gruppierungen in Europa einen wachsenden Zuspruch von LGBTI-Wähler/innen. Frankreich ist damit keine Ausnahme, auch Geert Wilders‘ „Partij voor de Vrijheid“ (PVV) in den Niederlanden und die AfD in Deutschland, in der sich bereits 2014 eine Bundesinteressengemeinschaft für Homosexuelle gegründet hat, zählen schwule und lesbische Anhänger/innen und schmücken sich mit homosexuellen Parteiverantwortlichen. Mit Alice Weidel stellte die AfD im April 2017 erst kürzlich eine lesbische Frau als Spitzenkandidatin für den Bundestagswahlkampf auf.

Worin liegt der Erfolg der Rechtspopulisten unter LGBTI- Wähler*innen?

Der Erfolg der „Neuen Rechten“ scheint dabei nach einer einfachen Formel zu funktionieren. Die Akzeptanz von Homosexuellen in den eigenen Reihen wird als Beweis für die vermeintliche ‚Überlegenheit des Westens‘ gegenüber einem als rückständig verunglimpften Islam angeführt. So stilisiert sich diese „Neue Rechte“ in Europa nicht nur als offen und inklusiv, sondern vor allem als letzte Verteidigerin von ‚westlichen Werten‘ und so als Bewahrerin von Rechten und Freiheiten, die sich viele LGBTI-Gruppen hier erst erkämpfen mussten. Mit islamophober und rassistischer Rhetorik werden muslimische Mitbürger/innen und Immigrant/innen zur Gefahr für diese Freiheit erklärt.

Dass sich heute überdurchschnittlich viele homosexuelle Wählerinnen und Wähler von dieser Rhetorik angezogen fühlen, liegt nicht nur an dem neuen, scheinbar offenen und modernen Gesicht der Parteien, sondern auch daran, dass in den (west-)europäischen Ländern die rechtliche Gleichstellung und die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität bereits in hohem und für viele Homosexuelle anscheinend zufriedenstellendem Maße erbracht ist. Denn für die Rechte von LGBTI setzen sich die rechtspopulistischen Parteien nicht ein - trotz des zum Teil offensiven Werbens um die Stimmen Homosexueller, ist dies nicht Teil ihrer Programmatik.

Die Frage, wie dieser Strategie der Rechtspopulisten begegnet werden kann und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den nationalen Diskursen zum Thema zu finden sind, diskutierten am 21. April Vertreter/innen von LGBTI-Organisationen aus den Niederlanden, Frankreich und Deutschland in der Heinrich-Böll-Stiftung, gemeinsam organisiert mit Bleublancrose e.V..

Eine neue Streitkultur ist gefragt

Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin, bekräftige, dass in den Niederlanden Gewalt gegen Schwule und Lesben, die mitunter aus muslimisch-geprägten Gesellschaftsteilen komme, von der liberalen Politik oft kleingeredet werde. Hierüber wäre ein offenerer, aber differenzierter Diskurs dringend notwendig. Eine Differenzierung, die von den Rechtspopulisten bewusst unterlassen werde, um plakativ gegen den Islam zu hetzen, müsse mehr Ehrlichkeit und Klarheit bringen über die Anforderungen einer Einwanderungsgesellschaft, die gerade die Niederlande schon immer war.

Volker Beck, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/ Die Grünen betonte, dass sich die Situation auch in Deutschland geändert habe. Obwohl unter Schwulen und Lesben in Berlin bisher kein übermäßiger Zuspruch für die AfD zu erkennen sei, seien in der Community in den letzten Jahren neue Hassobjekte und Feindbilder entstanden, die besonders im Netz zum Ausdruck kämen: Anti-muslimisches Ressentiment innerhalb der schwul-lesbischen Community sei deutlich erkennbar. Der religionspolitische Sprecher der Grünen kritisierte besonders, dass über diese Probleme nicht offen gesprochen werde, und plädierte für eine neue Streitkultur in der LGBTI-Community. Ängste und Unsicherheiten müssten offener diskutiert und nicht verschwiegen werden.