„Und ich muss doch erzählen“

Die Liedermacherin und Aktivistin Fasia Jansen sang ihr ­Leben lang an gegen Krieg, Faschismus und Militarismus und für soziale Gerechtigkeit. Ein Porträt.

Dia Sängerin Fasia Jansen steht mit Gitarre hinter einem Notenständer und Mikrofon
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Fasia Jansen bei einer DGB-Jugendkundgebung in Berlin- Kreuzberg 1979

Als im April 1968 das Attentat auf Rudi Dutschke verübt wird und sich der Kampf der Studierendenbewegung in Deutschland radikalisiert, steht Fasia Jansen – Künstlerinnenname: Fasia – schon seit über zwei Jahrzehnten auf der Bühne. Sie ist nicht nur national, sondern auch international bekannt: als politische Sängerin, Liedermacherin und Aktivistin. Die Karriere der gebürtigen Hamburgerin beginnt bereits 1947 in einer kommunistischen Agitprop-Gruppe, die sich mit Liedern und satirischen Texten gegen Faschismus, Krieg, Militarismus und soziale Ungerechtigkeit stellt.

Es sind die Themen, die für Fasias Leben bestimmend bleiben werden. Die 1929 geborene Künstlerin ist Tochter einer weißen deutschen Mutter und eines Schwarzen Vaters, der als liberianischer Diplomat in Hamburg tätig ist. Fasia wächst in einem Arbeiter*innenviertel auf und lernt ihn nicht wirklich kennen. Er bleibt der „Generalkonsul“. „[Seine] Familie gehörte zu den fünf reichsten seines Landes, meine Familie zählte zu den ärmsten Familien Europas“, notiert sie später nüchtern. Zur prägenden Bezugsperson wird ihr weißer Stiefvater, ein Sozialist und klassenbewusster Arbeiter, der ihr Halt gibt und sie unterstützt. Doch die Verfolgung durch die Nationalsozialist*innen kann er nicht verhindern. Mit 14 Jahren muss Fasia ihre Ausbildung an einer Tanzschule abbrechen. Kurz darauf wird sie dienstverpflichtet und leistet in einer Barackenküche des KZ Neuengamme Zwangsarbeit. Was sie dort erlebt, lässt sie zeitlebens nicht mehr los. „Um es kurz zu machen: Ich habe schreckliche Sachen gesehen. Ich habe den unerhörten Leidensweg von Leuten, die nicht in diese Gesellschaft hineinpassen sollten, am eigenen Leib erlebt“, sagt sie rückblickend. Und: „Die, über die ich erzähle, sind – abgeschlachtet. Sie hätten leben können. Wer glaubt mir das alles denn noch? Und ich muss doch erzählen.“

Im Lager beginnt Fasia zu singen, wird von sowjetischen und französischen Mithäftlingen dazu ermutigt. Sie spürt, dass sie mit ihrer Stimme viele Menschen erreicht. In den 1950er-Jahren reist sie zu den Weltfestspielen der Jugend nach Ostberlin, Moskau und Wien, tritt vor einem riesigen Publikum auf. Richtig sichtbar wird die Künstlerin, die inzwischen in Oberhausen lebt und mit den Arbeiter*innenkontexten des Ruhrpotts tief verbunden bleibt, in den 1960ern. Im Zuge der Ostermarsch-Bewegung für Frieden und Abrüstung wächst die Zuhörer*innenschaft für politische Lieder. Lieder, die in eingängigen Worten gesellschaftliche Forderungen auf den Punkt bringen, sind ein wichtiges Medium für Ansprache und Mobilisierung.

Nicht politisch zu sein, ist für Fasia Jansen keine Option. Auch nicht in ihren Liedern.

Hier wird Fasias Stärke offenbar: Sie kann Emotionen erzeugen, bei  den unterschiedlichsten Menschen. Sie inspiriert Liedermacher wie Gerd Semmer, Dieter Süverkrüp, Heinz Kahlau oder Hannes Wader. Sie singt den Blues, oft mit deutschen Texten. Zugleich bezieht sie immer wieder Position: „Mein Schwerpunkt ist Westdeutschland und nicht die dritte Welt“, schreibt sie an einen Kollegen. Und: „Worüber ich traurig bin, ist, daß ich als politische Sängerin noch kein Lied habe über die doppelte Ausbeutung der Frauen.“ Auch Liebeslieder schreibt Fasia nicht, obwohl sie es wohl gern getan hätte. Vietnamkrieg, Notstandsgesetze und andere Abgründe des politischen Tagesgeschehens sind drängender.

In den 1970er- und 1980er-Jahren verbindet sich ihr klassenkritisches Bewusstsein mit einem immer nachdrücklicheren Fokus auf Frauen. Mit ihren Liedern „Keiner schiebt uns weg“, „Wir Frauen sind kein schwaches Geschlecht“ oder „In einer Dunkelkammer“ begleitet sie zahllose Arbeitskämpfe. Sie verknüpft Frauen- und Friedensarbeit, ist Mitgründerin des Internationalen FrauenFriedensarchivs und tritt 1985 auf der Weltfrauenkonferenz in Nairobi auf. Sie unterstützt geflüchtete Frauen in ihrer Oberhausener Nachbarschaft und lädt mehrere Jahre lang jeden Sonntag Kinder aus umliegenden Geflüchtetenunterkünften ein, um mit ihnen zu malen und zu musizieren. Nicht politisch zu sein, ist für sie keine Option.

Decolonize 1968! Zum 50. Jubiläum der Proteste von 1968 erinnern wir uns an die politischen Kämpfe, die feministische und linke Bewegungen bis heute prägen. Der dominanten Geschichtserzählung von Freiheit, Rebellion und grenzüberschreitender Solidarität setzen wir weibliche, queere, Schwarze und (post-)migrantische Perspektiven entgegen, die Lücken im Diskurs schließen.

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Einen Großteil ihrer Stärke bezieht Fasia aus ihren langjährigen Beziehungen zu Frauen. Freundinnen und Gefährtinnen sind Familie. In einem Interview sagt sie: „Als ich wusste, was Sexualität ist, als ich meinen Körper gespürt habe, da war es verboten, eine schwarze Frau zu lieben. Und auch nach 1945: das steckte drin bei den Männern, dass es unmöglich ist, mit einer schwarzen Frau zu gehen. Und da habe ich mich also entschieden, so eine Liebe nicht zu leben.“

Für ihre Verdienste wird Fasia 1991 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande geehrt, das sie stellvertretend für die Friedensbewegung annimmt. Als sie im Dezember 1997 stirbt, begleiten sie mehr als tausend Menschen auf ihrem letzten Weg.