Wenn Corona auf Piraten und Prinzessinnen trifft

Feministischer Zwischenruf

Erst jetzt machen erste Politikerinnen auf den Notstand in Frauenhäusern aufmerksam -  Folgeschäden einer langen, zähen Ignoranz.

women with hygiene mask standing at a fence

Wie der Stresspegel durch Corona angestiegen ist, zeigt sich manchmal erst verdeckt. Warum sind wir abends so kaputt, obwohl wir doch gar nicht so viel machen konnten? Warum können wir dann trotzdem nicht schlafen? Und hat dieses Kind immer schon so laut und so schnell und vor allem: so viel geredet?

Das sind die ganzen verdrängten Sorgen. Auch wenn wir es schaffen, nicht pausenlos daran zu denken, ob das Geld reicht, es der Oma gut geht, der kranke Freund auch vernünftig ist oder irgendwo gerade irgendwas so richtig anbrennt – das Stammhirn wittert Gefahr und schlägt Alarm.

Stress macht, dass der Körper mehr Energie bereitstellt. Zum Kämpfen oder zum Wegrennen. Fight or flight, heißt es so schön. Das ist der Grund, warum nun Expert*innen davor warnen, dass im Engestress der häuslichen Isolation, der zur allgemeinen Corona-Besorgnis noch hinzukommt, die häusliche Gewalt ansteigen könnte.

Schlagen oder fliehen?

„Fight or flight“ ist übrigens gar nicht unbedingt so gegendert, dass Frauen wegrennen und Männer kämpfen wollen. Vielmehr wägen wir alle unbewusst ab: Kann ich gewinnen? Dann fight! Kann ich nicht gewinnen? Dann lieber schnell weg.

Im Männer-Frauen-Verhältnis ist deshalb wichtig, wer der anderen Person signalisiert, dass er*sie besiegbar ist. Tja, und da klickert es, oder? Was lernen unsere Kinder im Spiel der Rosa-Hellblau-Hölle, in der sie sich bewegen? Die Prinzessin muss gerettet werden, der Pirat greift an. Alles klar. Wer von beiden dabei einen Penis oder eine Vagina besitzt, ist dabei übrigens völlig unerheblich.

Wer im Stress schneller zuschlägt, schlägt ja nicht irgendjemanden. Es wird die Person geschlagen, die signalisiert hat, dass sie schlagbar ist. „Nein, nein, nein, so ist das nicht“, sagen nun die Schläger*innen. „Vielmehr ist es so, dass mein*e Freund*in mich rasend gemacht hat! Mit voller Absicht!“ Und da ist vielleicht Einiges dran. Denn die waren ja vielleicht auch gerade echt aggressiv. Sie haben nur nicht zugeschlagen. Fürs Schlagen ist nämlich jeder Mensch selbst verantwortlich. Gemein, aber wahr.

Wenn nun aber klar ist, dass „fight“ in uns so tief verankert ist und mindestens die Hälfte der Gesellschaft so sozialisiert wird, dass sie sich als „schlagbar“ präsentiert und es eine Menge Leute gibt, denen „schlagen“ jeden Tag als gute Variante der Selbstbestätigung in allen Medien präsentiert wird, warum zum Teufel kümmern wir uns darum nicht?

Der Staat will sich einfach nicht um Schutzhäuser kümmern

In NRW sind jetzt schon fast alle Frauenhäuser voll. Dass Frauen, die abhauen wollen, von der Ausgangssperre ausgenommen sein müssen, fordern jetzt erst die ersten Politikerinnen. Wenn ein Haus unter Quarantäne gestellt wird, gibt es in vielen Landkreisen keine Zuflucht mehr. Ohnehin gibt es zu wenig Plätze, insbesondere für Familien mit Kindern. Und sowieso ist es in den meisten Frauenhäusern zu eng.

Warum ist das so unorganisiert? Weil sich seit Jahrzehnten nicht eingestanden wird, dass häusliche Gewalt strukturell zu unserer Gesellschaft gehört und, dass der Staat deshalb Gewaltschutzhäuser vernünftig auszustatten und zu finanzieren hat. Stattdessen muss für jede einzelne Person die Übernahme der Finanzierung beantragt werden, mal hier, mal dort. Für manche gibt es schlicht gar keine Finanzierung, weil ihr Fall irgendwie nicht vorgesehen ist.

In China soll sich stellenweise die Zahl der Notrufe geprügelter Frauen verdreifacht haben. Sollte Ähnliches hier passieren: Wir sind nicht vorbereitet. Aus purer Ignoranz.