Was verbindet den Hass auf Feminismus und weibliche Emanzipation mit der Idealisierung ländlicher Idylle? Ein Leipziger Forschungsteam sucht nach ersten Antworten auf eine wissenschaftlich bisher kaum untersuchte Frage.

Die letzten Wahlergebnisse der AfD belegten nicht nur deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern auch ein signifikantes Gefälle zwischen Großstädten und der Provinz. In ländlich geprägten, weit von den Ballungsgebieten entfernt liegenden Regionen sind extrem konservative oder gar rechtsextreme Einstellungen sowie die dahinter steckenden autoritären Haltungen offenbar weiter verbreitet. Das gilt auch für das Thema Antifeminismus: Althergebrachte patriarchale Geschlechterbilder und festgelegte Rollenzuschreibungen passen perfekt zur Romantisierung der guten alten Zeit und eines harmonischen Landlebens - einer Welt, die (scheinbar) noch in Ordnung ist.
Johanna Niendorf, Fiona Kalkstein, Henriette Rodemerk und Charlotte Höcker arbeiten gemeinsam am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig, das seit über zwanzig Jahren regelmäßig empirische Befunde zum Autoritarismus präsentiert. Mit ihrem jetzt vorgelegten Sammelband, an dem zahlreiche weitere Autor*innen beteiligt waren, geben die Wissenschaftlerinnen einen Überblick über ein bislang wenig untersuchtes Forschungsfeld: Wie hängen Antifeminismus und Provinzialität zusammen?
Somewheres und Anywheres
Das Wort Provinz wird in diesem Kontext nicht als rein räumliche Kategorie, sondern im Rückgriff auf den Philosophen Theodor Adorno als Geisteshaltung interpretiert. Dieses theoretische Verständnis erläutert der Frankfurter Humangeograf Bernd Belina in seinem einleitenden Beitrag. “Provinzialität bezeichnet ein Denken in fixen Kategorien, das Reflexion und Ambivalenz ablehnt, mit Autoritarismus und Ungleichheitsideologien kompatibel und entsprechend von der politischen Rechten mobilisierbar ist.” In ländlichen Regionen finde das Phänomen “aufgrund der dortigen Übersichtlichkeit der Verhältnisse” bessere Voraussetzungen. Doch auch in den Metropolen (und besonders an ihren peripheren, oft unterprivilegierten Rändern) kann es große Ressentiments etwa gegen Geflüchtete oder gegen Feminismus und weibliche Emanzipation geben. Umgekehrt finden sich selbstverständlich auch in Kleinstädten und Dörfern Menschen, denen solche Vorbehalte vollkommen fremd sind.
heimatverbundene Bodenständigkeit auf der einen Seite und ein entwurzelter, international orientierter Kosmopolitismus auf der anderen Seite
Der britische Autor David Goodhart hat das Begriffspaar “Somewheres versus Anywheres” in die soziologische Debatte eingeführt. Nach seinem plakativen Schema stehen sich heimatverbundene Bodenständigkeit auf der einen Seite und ein entwurzelter, international orientierter Kosmopolitismus auf der anderen Seite gegenüber. Diese beiden Milieus, ihre Deutungsmuster und unterschiedlichen Lebensstile sind zwar nicht immer klar voneinander abgrenzbar, dennoch zeigt sich eine geografische Verteilung: “Somewheres”, die Dagebliebenen, wohnen häufiger in der Provinz oder in kleinbürgerlich geprägten Vororten, “Anywheres”, die (N)Irgendwos, dagegen meist im Zentrum der großen Städte. Zu entsprechenden Schlussfolgerungen kommen dann Wahlanalysen ebenso wie wissenschaftliche Studien, nach dem Motto: Der ländliche Raum tickt rechts. Doch wie stimmig ist dieses simple Klischee?
Wachsame Nachbarschaft im Erzgebirge
Die Leipziger Forscherinnen sehen zumindest Anhaltspunkte dafür. “Was Antifeminismus und Provinzialität ideologisch verbindet, ist die Idealisierung einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, und die autoritäre Sehnsucht nach Eindeutigkeit.” Die dazu passenden Einstellungen und Verhaltensweisen seien klare Hierarchien, rigide Konventionen und das Vorhandensein von Sündenböcken. Zentraler Bezugspunkt ist “die Rückkehr zu einer vormodernen Ländlichkeit, mit tradierten patriarchalen Familienstrukturen und einer überschaubaren Gemeinschaft”. Die in diesem Umfeld praktizierten Herrschaftspraktiken lassen zugunsten von Zusammenhalt und Stabilität keine Differenzierung zu, abweichendes Verhalten wird streng geahndet. Provinzialität in diesem Sinne verstanden ist also eine Art Weltanschauung. Die Wissenschaftlerinnen ziehen eine Verbindung zum deutschen Wort “Heimat”, das bezeichnenderweise in anderen Sprachen gar nicht existiert. Mit diesem Begriff wandten sich modernisierungskritische Strömungen schon Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Aufklärung, Demokratie und die Zumutungen der Industrialisierung. Anknüpfend an die Epoche der Romantik stilisierte man stattdessen die Natur und das bäuerliche Leben als “unverdorben, moralisch höherwertig und in sich ruhend”.
“Was Antifeminismus und Provinzialität ideologisch verbindet, ist die Idealisierung einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, und die autoritäre Sehnsucht nach Eindeutigkeit.”
Niendorf, Kalkstein, Rodemerk und Höcker versammeln in ihren Buch überwiegend theoretische Erklärungsversuche. Die Herausgeberinnen stellen aber auch ihre eigene empirische Forschung zum Thema vor. Die präsentierten Ergebnisse des Projekts “Geschlechterdemokratie im Erzgebirge”, einer abgelegenen Region an der Grenze zu Tschechien mit besonders hohen Stimmenanteilen für rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien sind allerdings nicht sehr ergiebig. Der in der Analyse exponiert herausgestellte Sozialtypus “Die wachsame Nachbarschaft” bleibt in seiner Beschreibung etwas diffus und wenig konkret. In den von ihnen angeleiteten Gruppendiskussionen fiel den Wissenschaftlerinnen besonders auf, wie “Bekundungen eigener Toleranz gegenüber queeren Formen des Begehrens wiederholt untergraben werden”. Eine “heteronormative Geschlechterordnung” verschränke sich mit der “ländlichen Identität des Sozialraumes”. So entstehe ein “rigides Normengefüge, welches durch Sanktionsandrohungen latent zum allgemeinen Bezugspunkt wird”.
“Schiefheilung” bedrohter Männlichkeit
Männerpolitisch interessant ist der Beitrag von Rolf Pohl. Der emeritierte Professor am Institut für Soziologie an der Universität Hannover betrachtet unter dem Titel “Der Traum von der völkisch-patriarchalen Idylle” die Phänomene Antifeminismus und Rechtsextremismus als Resultat einer gekränkten Männlichkeit. Frustrierte Männer in durch Arbeitslosigkeit und Armut prekarisierten Lebenslagen fühlen sich durch die gesellschaftliche Liberalisierung, durch Frauenemanzipation und Genderdebatten bedroht. Pohl bezieht sich in diesem Zusammenhang auf den amerikanischen Männerforscher Michael Kimmel und dessen These von den “Angry white men”, deren Wahlverhalten wesentlich zum Aufstieg von US-Präsident Donald Trump beigetragen hat. Einen vorgeblichen Rettungsanker und die erhoffte Rückkehr zu harmonischen Geschlechterbeziehungen finden verunsicherte Männer in der maskulinistischen Berufung auf ein imaginäres “wahres” Mannsein - wie es zum Beispiel der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke in seinen Reden regelmäßig fordert. Pohls Fazit: Der emotional “hochbesetzte, rechtspopulistische und autoritäre Gruppierungen einende Kampf gegen ‘Gender’ ist somit keine Ablösung eines älteren, stärker in der Männer- und Väterrechtsszene eingebundenen Antifeminismus, sondern bloß eine neue Ausdrucksform, für die eine Wiedererrichtung der männlichen Souveränität durchgängiges Ziel geblieben ist”.
Provinzialität finde sich keineswegs “nur auf dem Dorf”, sie treffe dort jedoch häufig auf “besonders fruchtbaren Boden”
Den Abschluss des Buches bildet ein Gespräch der Herausgeberinnen mit dem Sozialpsychologen Sebastian Winter über emanzipatorisch orientierte Möglichkeiten der Veränderung durch Therapie oder politische Bildung. Einen populären Erklärungsansatz für das Protestgeschehen sieht Winter darin, dass Ängste und Sorgen der Bevölkerung fehlgeleitet ihren Ausdruck finden. Er deutet das aus psychoanalytischer Perspektive: Die Betroffenen “heilen ihr Unbehagen schief, formen es unbewusst um, nehmen Sorgen das Leidvolle und entäußern sie dann als Hass und Ressentiment”. Die vorhandenen Ängste und Verlusterfahrungen würden auf diese Weise verdrängt, seien “nicht mehr spürbar”. Genau diese affektive Haltung bezeichnet Winter als “provinziell”, und schränkt zugleich ein: Provinzialität finde sich keineswegs “nur auf dem Dorf”, sie treffe dort jedoch häufig auf “besonders fruchtbaren Boden”. “Wo jede jeden kennt”, könne “mehr davon wuchern als in den anonymen, aber zugleich dem Fremden gegenüber offeneren, urbaneren Kontexten”.