Seenotrettung, Kreuzfahrtschiff, Südsee-Schiff. Warum uns die Dekolonisierung von Museen nicht teuer genug sein kann

Feministischer Zwischenruf

Die Große Anfrage der AfD zur Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe steht im Zentrum des feministischen Zwischenrufs im Sommerloch.

Ein oranges Boot liegt an einem Strand
Teaser Bild Untertitel
Schiffe, die Europa derzeit und ohne noch zu zögern untergehen lässt, könnten in Museumssammlungen aufgenommen werden, um die die blutigen Hände Europas unmissverständlich zur Kenntnis zu geben.

Das Schiff dient inzwischen als Symbol für nur vermeintlich unterschiedliche Dinge. Seenotrettung und Kreuzfahrtschiffe – die Schlachtrosse des Klimawandels, der uns den heißesten Sommer seit Wetteraufzeichnung beschert – bilden zwei Knoten im selben Tau. „Seenotrettung“ als Schlagwort für die Verhinderung von Migration durch rechtsnationale Akteur*innen ist ein Ergebnis des Kolonialismus, ähnlich wie der expansive Tourismus als Variante des Imperialismus verstanden werden kann. Doch noch einen dritten Knoten möchte ich einführen und genauer betrachten. Das Südsee-Schiff, das unlängst aus dem Ethnologischen Museum ins Humboldt-Forum in Berlin-Mitte überführt wurde, ist ein weiteres Beispiel für den Zustand moralischer Dauerentgleisungen von rechts in Politik und Medien sowie Wissenschaft und Kulturbetrieb.

Die Diskussion um Raubkunst erneut angestachelt hat die am 5. Juli 2018 eingereichte Große Anfrage der AfD an den Deutschen Bundestag. Sie lautet „Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe in Museen und Sammlungen“[i]. Im Zentrum steht die von der AfD vorgeschobene Angst, den Steuerzahler*innen könne es zu viel kosten, wenn sich die vom Staat subventionierten Museen zu viel und zu seriös mit der Frage beschäftigten, wieso und unter welchen Umständen Deutschland meint, sich mit blutig erbeuteter oder unter widerlichen kolonialen Konstellationen angekaufter oder getauschter Kunst schmücken zu wollen. Warum sich ein Prestige-Objekt wie das Humboldt-Forum, das den Berliner Tourismus ankurbeln und die Sightseeing-Abenteurer*innen ins Erstaunen ob der Schönheit der Welt versetzen soll[ii], verantworten müsse, im Besitz während der Kolonialzeit erbeuteter Objekte zu sein, ist der AfD zufolge keine Frage der Moral und des sensiblen Umgangs mit der Geschichte, sondern des Sparzwangs eines Staates, der sich am neo-kolonialen Geschäft der Arbeitsmigration (auch Neo-Sklaverei genannt) eine goldene Nase verdient.

Postkoloniale Theorie durch den Fleischwolf gedreht

Rechtskonservative Politik fordert, die Kosten einzusparen, die anfallen würden, wenn Mitarbeiter*innen der Museen zunehmend mit Themen des Kolonialismus und der Provenienzforschung beschäftigt wären. Immerhin würde es sich bei den, die Restitutionsforderungen unterstützenden, postkolonialen Theorien um ideologische Überformungen handeln. Denn: „(G)ehen doch in die postkoloniale Theoriebildung vor allem auch marxistische Ansätze ein.“[iii] Es ist ja fast schon verblüffend, wie Kenntnisse der postkolonialen- und ja auch der Gender Theorie zitiert werden, um sie in ihr Gegenteil zu verkehren. Was den Marxismus angeht, muss notiert werden, dass – wie Charles W. Mills sagt – dieser Teil eines Systems ist, das ignoriert, wie sehr der europäische Expansionswille seit Ende des 15. Jahrhunderts auf der Erschaffung einer rassialisierten Welt beruht[iv]. Wie sollte er da postkoloniale Ansätze stärken? Natürlich arbeiten postkoloniale Theoretiker*innen wie zum Beispiel Gayatri Spivak mit marxistischen Ansätzen, aber doch bitte schön nicht so billig, wie die AfD glauben machen will.

Das neue alte Überlegenheitsgefühl deutscher Museen

Interessanter als der Verweis auf Marxismus ist jedoch, wie unverblümt die Rechtsradikalen in der Anfrage das „konservatorische(…) und kuratorische(…) Know-how (der) Herkunftsländer“[v] in Frage stellen. Der Bundestag sollte die Anfrage mit der Begründung zurückzuweisen, dass es sich hier um die Verwendung rassistischen Gedankenguts handelt. Denn wenn die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) schreibt, dass Rassismus „die Überzeugung (ist), dass ein Beweggrund wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt“, dann ist die Unterstellung der AfD, die Länder und Kulturen, denen die Objekte gestohlen worden sind, könnten nicht in der Lage sein, ihre Objekte entsprechend aufzubewahren, eindeutig eine Demonstration der Überlegenheit deutscher Museumskultur.

Diese Demonstration von Überlegenheit bedient das alte koloniale Muster erneut, zu denken, nur in Europa gäbe es Kompetenz und Wissen. Wichtiger also als den Punkt, wieviel Provenienzforschung im Kontext kolonialer Sammlungsbestände kosten würde – (wer hat eigentlich schon einmal erhoben, was den Staat die vielen, das politische Geschäft lahmlegenden Anfragen der AfD kosten?!) –, ist daher, den sich in der Anfrage offen artikulierenden Rassismus zu benennen.

Es kann nicht sein, dass die AfD, sobald sie eine Einteilung in Kategorien der Über- oder Unterlegenheit vornimmt, ungeschoren davonkommt, während postkoloniale Kritiker*innen, die eine solche Einteilung vornehmen, um auf die historisch gewachsenen und rassialisierten Hierarchien hinzuweisen, mit dem Vorwurf konfrontiert werden, „jedwedes Problem auf die Streckbank der Machtfrage zu legen“[vi].

Vom Sinn und Unsinn der Restitution

Noch auf einen anderen Punkt möchte ich hinweisen. Die AfD versucht Dekolonisierungsbestrebungen, wie sie der „Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ des Deutscher Museumsbund e.V.[vii] darstellt, mit dem Argument abzuwenden, die restituierten Objekte könnten in den Herkunftsländern „in Privathände gelangen und damit der Öffentlichkeit entzogen werden“[viii]. Das ist insofern interessant, als dass sie selbst bundesstaatliche Kosten scheut, die anfallen würden, um die Herkunft der Objekte zu klären. Das heißt, dass sie einerseits die Privatisierung von Kultur- und Museumsarbeit durch Einsparungen staatlicher Gelder vorantreibt, und andererseits die Privatisierung in den Herkunftsländern verurteilt.

Katrin Köppert ist Queer-Medien-Affekt-Theoretikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der UdK Berlin. Zuvor lehrte sie an der Kunstuniversität Linz. Studium der Gender Studies und Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Und selbst wenn zum Beispiel die derzeit heiß diskutierten Benin-Bronzen, die Nigeria geraubt wurden, in private Hände gelangen würden, dann könnte dies Teil einer gelungenen Restitution sein. Unterliegen Objekte in der Herkunftsgesellschaft nämlich bestimmten Zu- und Umgangsbeschränkungen ​ [ix], die es erforderlich machen, sie nicht, eingeschränkt oder nur im Zuge bestimmter ritueller Praktiken zu zeigen, dann kann die Rückgabe in private Hände gelungene Dekolonisierung darstellen.

Gleichzeitig ist natürlich nicht jede Rückgabe sinnvoll. Nehmen wir etwa die unter gewaltvollen Bedingungen entstandenen Tonaufnahmen in Kriegsgefangenenlagern des Ersten Weltkriegs[x]. Sie haben sehr wenig oder gar nichts mit den Lebensgeschichten der Betroffenen zu tun[xi]. Es handelt sich um Objekte, die vor allem mit der europäischen Geschichte der Vermessung und dem wissenschaftlichen Rassismus Europas zu tun haben. Eine Rückführung solcher Objekte widerspricht regelrecht dem Gedanken der Dekolonialisierung.

Das dekoloniale Museum von morgen

Wenn ich heute über das dekolonialisierte Museum von morgen denke, dann fallen mir Exponate ein, die den Blick umkehren. Statt außereuropäische und unrechtmäßig erworbene Kulturgüter ein weiteres Mal in die Situation zu bringen, dem womöglich exotisierenden Blick der Museumsbesucher*innen zu beugen, stelle ich mir vor, Artefakte zu sehen, die die blutigen Hände Europas unmissverständlich zur Kenntnis geben. Das können folglich auch Schiffe sein: Schiffe, die Europa derzeit und ohne noch zu zögern untergehen lässt. An diesen Schiffen und Booten klebt schon jetzt so viel Blut, dass wir uns in 100 Jahren fragen werden, wie das passieren konnte. Und sollte es in 100 Jahren um die Frage der Restitution dieser Artefakte gehen, steht eines fest: Einige werden in den Besitz der politischen Nachfahren Seehofer zurückgehen müssen.


[i] Drucksache 19/3264 5.7.2018, Große Anfrage „Aufarbeitung der Provenienzen von Kulturgut aus kolonialem Erbe in Museen und Sammlungen“, siehe: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/032/1903264.pdf.

[ii] Horst Bredekamp lässt sich nicht lumpen und schreibt in seinem von der AfD in der Anfrage affirmativ zitierten Artikel „Humboldt-Forum: Ein Ort radikaler Toleranz“, dass die „außereuropäischen Kulturen im Herzen einer Nation auf eine prachtvolle Weise erhöht“ würden und die von ihm als vorkolonial behaupteten Sammlungen des Berliner Schlosses eine Universalität erproben würden, „die staunen lässt“, siehe: https://www.zeit.de/2017/36/humboldt-forum-berlin-stadtschloss-neubau-geschichte. Angesichts dieses geschichtsklitternden Versuchs (der Kolonialismus fängt nicht erst mit der Berliner Konferenz 1884 an!), die Pracht der zukünftig im „Bürgerhaus“ des Berliner Schlosses versammelten Objekte zu besingen, ließe sich durchaus fragen, was im Fach der Kunstgeschichte, für das Horst Bredekamp verantwortlich zeichnet, über den Zusammenhang von Kolonialismus und Beutekunst vermittelt wird. Beutekunst ist keine Angelegenheit allein des Nationalsozialismus. 

[iv] George Yancy, Charles W. Mills (2014): Lost in Rawlsland, siehe: https://opinionator.blogs.nytimes.com/2014/11/16/lost-in-rawlsland/.

[vii] Deutscher Museumsbund e.V. (2018): Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Berlin.

[ix] Deutscher Museumsbund e.V. (2018): Leitfaden, Berlin, S. 11.

[x] Die Tonaufnahmen, die sich im Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin befinden, sollen ebenfalls in das Humboldt-Forum übersiedeln.

[xi] Britta Lange (2011): Sensible Sammlungen, in: Margit Berner/Anette Hoffmann/Britta Lange (Hg.): Sensible Sammlungen. Aus dem anthropologischen Depot, Hamburg, S. 39.f.