„Keimzelle der Nation? Familien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD“

Andreas Kemper (Autor und Soziologe, Münster)
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Andreas Kemper (Autor und Soziologe, Münster)

Am 31.05.2016 fand die Tagung des Gunda-Werner-Instituts “Gegner*innenaufklärung – Informationen und Analysen zu Anti-Feminismus” statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden mehrere Tagungsberichte von Stipendiat_innen der Heinrich-Böll-Stiftung verfasst. Eine PDF dieses Protokolls findet sich hier. Der Input Andreas kempers findet sich als PDF hier.

Input durch Andreas Kemper   

Die AfD ist noch vollkommen in der Neuformatierung, nach dem Abgrenzen von Bernd Lucke, wobei sich auf der einen Seite neoliberale und sich auf der anderen Seite nationalistische Kräfte auftun. Aus dem Neoliberalen Flügel wird als Beispiel für Rhetorik, Gestus und Inhalte ein Video von Alice Weidel, Programmchefin und im Bundesverband der AfD, eingespielt, die auf einem Parteitag nach ihrer Meinung zum Thema „Gendern“ gefragt wird. Andreas Kemper wertet das Video zusammenfassend aus:

  1. Immunisierung: das Abschreiben der Presse durch Weidel
  2. Powerfrauen brauchen keine Quote
  3. Gender als leeres Signifikat
  4. Frühsexualisierung durch Gender? Pinkifizierung (AfD Mitglieder*innen verteilen rosa Luftballons für Mädchen, und blaue für Jungs, zwängen sie dadurch früh in ihre Rollen)
  5. Hoaxes: „Was da drin steht!“, Alice Weidel.
  6. Schulkampf: Mut zur Erziehung
  7. Antigenderismus als Verschwörungstheorie - Antigenderismus als Vergleich zu antisemitischer Verschwörungstheorie:
    • Geheimplan zur Abschaffung der Deutschen
    • Ausgang von der Ostküste der USA
    • Es handelt sich um eine weltweite Organisierung: UN
    • Geht TopDown: UN>EU>Nationalstaaten
    • „Die“ wollen an Kinder ran (durch Umerziehung; Familien zerstören)
    • Keimzelle der Nation (Familie) soll damit zerstört werden
    • Es handelt sich um einen Opferdiskurs. Dabei sind nach der Ideologie die Opfer stärker als die Gegner, und deswegen braucht es eine Verschwörungstheorie, sonst gäbe es keinen Grund die stärkeren „Opfer“ zu unterdrücken.
  8. Gender wird als Scheinwissenschaft benannt von Weidel
  9. „Wir sind nicht homophob, aber…“
  10. Man betreibt Politik auf Grundlage der Freund-Feind-Differenzierung
  11. Familie als Keimzelle der Nation

Andreas Kemper stellt auch vor, dass Alice Weidel in einer homosexuellen Partnerschaft mit einer Frau lebt und diese zusammen ein Kind haben, außerdem Frauke Petry in einer Patch-Work-Familie mit acht Kindern lebt. Im Anschluss an diese vertretenen Thesen der AfD, geht Andreas Kemper auf die Klassenfraktionen der AfD ein:

  • Neoliberale Flügel (z.B.: Alice Weigel, Sven Tritschler)
  • Kleriker Akteur*innen (z.B.: Beatrix Storch)
  • Völkischer Nationalismus (z.B.: Björn Höcke)

Der transatlantisch, neoliberale Flügel wurde ausgegrenzt. Die AfD sei einerseits rassistisch gegenüber Deutschen und andererseits gegen die Unterschichten. Den „Nanystaat“, also den übermutternden Staat möchte man abschaffen, da dafür die Familie zu ständig ist. Es werden vor allem Verbindungen in die Ultra-Katholischen Kirchen deutlich. Außerdem gibt es Verbindungen zu Evangeliken und der Russisch-Orthodoxen Kirche, sowie einzelne Kontakte zu islamischen Verbänden, allerdings noch nicht so ausgeprägt. Aus extremen Gruppierungen der AfD werden Äußerungen laut, wie z.B.: dass Abtreibung nur ein Lifestyle sei und ein Abtreibungsgesetz an die Bevölkerungspolitik gekoppelt sein sollte/könnte. Björn Höcke betriebt derweil eine faschistische Biopolitik, in der er propagiert, dass die Männlichkeit verloren ginge und Kinder ohne Mutter und Vater krank werden würden.

Fragen und Anregungen aus dem Publikum

Nach einer Überleitung von Henning von Bargen, gibt es zunächst vier Wortmeldungen aus dem Publikum. Dabei geht es um die Frage nach einer Verbindung der AfD zu jüdischen Verbänden, sowie zu anderen Rechtsextremen. Es wird die Gefahr angesprochen, dem ganzen Phänomen AfD zu große Bedeutung zu zumessen und welche Zahlen es zu dem Phänomen AfD gäbe. Von derselben Teilnehmerin wird die Verbindung zu Alice Weidels Privatleben und ihren im Video getroffenen Aussagen gezogen, die fast eine psychologische Schizophrenie deuten ließen. Zuletzt bemerkt eine Teilnehmerin, dass es auffallend sei, dass Alice Weidel den Gender-Begriff gar nicht kenne, und ob denn jemand/eine Gruppe in der AfD diesen Begriff wirklich beherrsche. Frau Notz meint, man würde es oft erleben, dass die, die nicht so leben, den traditionellen Familienbegriff einfordern, obwohl es sie selbst gar nicht betrifft. Dies sei noch ein Forschungsgebiet um zu entlarven was hinter dem Familienbegriff stehe. Andreas Kemper antwortet zu dem Einwand der Schizophrenie, dass Alice Weidel vorrangig nicht in der AfD sei wegen Genderfragen, sondern wegen ihres Vertretens des Neoliberalismus. Generell finde man Homosexuelle in der AfD nicht aus Gründen der Genderfragen, sondern aus anderer Motivation. Es gäbe niemanden, der sich wirklich mit dem Gender Begriff auseinandersetze in der AfD. Auch gäbe es wenige Zahlen zu den Wählern der AfD, man wisse aber, dass wesentlich mehr Männer die AfD oder FPÖ wählen würden. Dabei ist das Gender-Thema sehr wichtig in der Partei, was die AfD von Anfang klarmachte. Wenn man sich fragt, wie einflussreich die AfD ist, oder sein könnte, müsste man sich überlegen, wie es wäre, wenn die AfD mit 55% im Parlament sitzen würde. So merkt man, dass einige Forderungen doch realitätsfern sind (Verweis auf Frauke Petry und ihre Patch-Work-Familie).

Es folgen erneut vier Inputs aus dem Publikum. Als Erstes kommt die Frage, wie die AfD mit islamischen Verbänden kommunizieren kann aus einer rassistisch, völkischen Ideologie heraus. Danach wird gefragt, inwiefern das Wählerbild mit der AfD zusammenpasst. Eine Teilnehmerin bemerkt, dass das „Anti-Islam-Thema“ von der AfD viel stärker nach außen getragen würde, als das Gender-Thema und ob dieses dann für den Wahlerfolg der AfD entscheidend wäre. Abschließend wird gefragt, inwieweit es Bündnisse mit anderen in Europa existierenden rassistischen Parteien gibt. 
Andreas Kemper antwortet darauf, es gäbe bereits viele Bündnisse zwischen europäischen rechten Parteien, hier fällt das Stichwort „blaue Allianz“. Generell sind parteiinterne Unterschiede in der Wirtschaftspolitik Knackpunkte, aber auch des „Präsentationsmediums“ (Höcke will eher auf die Straße mit der AfD, Petry eher in Talkshows). Es sei richtig, dass Verbindungen zu Islamischen Verbänden und der AfD ein absoluter Widerspruch in sich seien. Zu dem Wählerbild, gäbe es wenige Umfragen, ob und warum Männer eher die AfD wählen, aber es sei auch wichtig zu sehen, warum so viele Menschen, die sozial benachteiligt werden, eine Partei wählen, die einen extremen Sozialabbau für nötig hält.

Erneut werden drei Beiträge aus dem Publikum gesammelt. Dabei wird bemängelt, es gäbe zu wenig Forschung zu der historischen Entwicklung des Phänomens AfD. Es wird dazu plädiert, man dürfe die AfD und ihr Forderungen nicht ignorieren. Ein Teilnehmer wirft ein, man solle sich nicht an den persönlichen Lebensentwürfen der Politikerinnen abarbeiten und er sieht eine Verbindung zu PEGIDA, die ebenfalls propagiert, sie seien gegen Genderismus.
Dazu meint Andreas Kemper, dass die PEGIDA Bewegung grundsätzlich etwas fortschrittlicher sei und ideologisch gesehen, nicht so ernst zu nehmen sei, wie die AfD. Historisch entstanden sei die AfD aus einem Hoax 2004/05, bei dem es darum ging, dass angeblich 40% der Akademikerinnen kinderlos seien. Diese Debatte wurde mit dem Eltern- und Erziehungsgeld beflügelt, und in diesem Zusammenhang das Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ von den Medien gepuscht. Ohne dieses gäbe es die AfD nicht.

Strategien und Umgang mit der AfD

Hier leitet Henning von Bargen über, in dem er fragt, wenn die AfD auch ein Medienprojekt sei, könnte man nicht als Strategie an deren Berichterstattung arbeiten? In dem folgenden Beitrag aus dem Publikum wird die AfD als Sammelbecken bezeichnet und man müsse vor allem bei denen ansetzen, denen Wisse fehle und mit einer Erzählkultur deutlich machen, welche Visionen die AfD vertritt. Ebenso sei es interessant, dass persönliche Themen Menschen eher auf die Straße bringen würden, als die Agenda 2010. Es wird die Frage laut, inwieweit die Medien die Macht hätten, ein Phänomen wie die AfD aufzubauen und wie viel Raum man ihnen in der öffentlichen Diskussion lassen sollte. Eine andere Teilnehmerin wirft ein, man könnte Verständnis für das Unwohlsein von AfD-Wähler*innen gegenüber der Interessenpolitik der EU, verstehen. Eine Teilnehmerin sagt, die Zivilgesellschaft habe verschlafen über die AfD zu reden und dafür müssten wir nun über die Inhalte der AfD reden. Es wird gesagt, man solle versuchen, die zu überzeugen, die sich noch unsicher sind, da viel Unwissen und fehlende Bildung vorherrsche. Ein anderer Beitrag lautet, man müsse sich gerade durch den Rechtsruck in Europa mit der AfD und ihrem Programm auseinandersetzen. Abschließend wird bemerkt, es sei schwierig die Identität der AfD zu erkennen. Die Mitglieder*innen/Wähler*innen würden sich darüber identifizieren, was sie nicht sind oder nicht sein wollen. Vielleicht sei es eine mögliche Strategie das Thema Gender besser rüberzubringen mit der Hilfe von populistischer Rhetorik, diese für den guten Zweck nutzen sozusagen.