Strategien im Umgang mit Antifeminismus in der Schwangeren(konflikt)beratung

Am 08.06.2017 fand die Tagung „Menschlich bleiben - Strategien im Umgang mit antifeministischen Angriffen auf Soziale Arbeit“ des Gunda-Werner-Instituts in Kooperation mit der AWO statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden mehrere Tagungsberichte von Stipendiat*innen und Praktikant*innen der Heinrich-Böll-Stiftung verfasst. Eine PDF dieses Berichts findet sich hier.

Der Workshop wurde von / mit Kirsten Achtelik und Eike Sanders geleitet.

Input: „Wer berät hier wen wozu?“

Oft ist zu hören, dass die Angriffe auf das Recht auf Abtreibung international zunehmen. Allerdings gibt es auch in Deutschland bisher kein festgeschriebenes Recht auf Abtreibung. Viel eher wird also die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch angegriffen. Gleichzeitig gibt es bisher wenige feministische Impulse, diesen Angriffen etwas entgegenzusetzen und beispielsweise ein Recht auf Abtreibung zu institutionalisieren.

Schwangerschaftsabbrüche sind in Artikel §218 des Strafgesetzbuches geregelt. In der Regel kann ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche vorgenommen werden. Vorher muss ein Schwangerschaftskonfliktgespräch und anschließend 3 Tage Bedenkzeit in Anspruch genommen werden. Nur dann wird der Straftatbestand laut Gesetz nicht verfolgt. Die Schwangerschaftskonfliktberatung ist in Artikel §219 des Strafgesetzbuches geregelt. Dort wird festgelegt, dass die Beratung dem Schutz des „ungeborenen Lebens“ dienen und die Berater*in die schwangere Frau* zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen soll. Dort wird auch festgelegt, dass die Beratung ergebnisoffen gestaltet werden soll.

Input: „Wer ist die ‚Lebensschutz’-Bewegung?“

Die „Lebensschutz“-Bewegung zeichnet sich durch ihre Ablehnung von Abtreibung, Sterbehilfe und Pränataldiagnostik (PND) aus. Sie vertritt ein über diese Themen hinausgehendes Gesellschaftsbild. Auch wenn sie sich selbst als überkonfessionell und überparteilich darstellt, wird bei einer Analyse ihrer Mitglieder und ihrer Inhalte deutlich, dass sie christlich-fundamentalistisch und konservativ bis extrem rechts geprägt ist. Die Mehrheit der Anhänger*innen gehört vermutlich der CDU/CSU an. Anhänger*innen der AfD geben der Argumentation noch einen völkischen Dreh. Die „Lebensschutz“-Bewegung hält den Status Quo des §218 als einen vermeintlichen gesellschaftlichen Kompromiss für untragbar, sie hat sozusagen den Burgfrieden aufgekündigt und den „Kulturkampf“ ausgerufen. „Lebensschützer*innen“ vertreten die These, dass Feminist*innen 1968 in Deutschland an die Macht gekommen sind und insbesondere durch Gleichstellungsbeauftragte die Grundlage der Gesellschaft zerstören. Sie hängen einem dichotomen Geschlechterbild an und sind trans- und meist auch homofeindlich. Sie haben sich über die letzten Jahre professionalisiert und geben sich weltlicher, wie auch an ihren Aktionen deutlich wird. Trotz allem nehmen sie offiziell und explizit ihre Kraft aus ihrer Gottesgläubigkeit und beklagen eine fortschreitende Säkularisierung.

Derzeit gibt es mindestens 60 Vereine in Deutschland, deren explizites Ziel der Schutz des „ungeborenen Lebens“ ist. Einer der größten Vereine ist die Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA). Dieser Verein hat nach Eigenangaben „mehr als 10.000 Mitglieder“ und Netzwerke in wichtige Berufsgruppen. Die „Lebensschutz“-Bewegung als Ganzes findet neben den expliziten Vereinen darüber hinaus in religiösen Organisationen und Gemeinden, in christlichen und extrem rechte Parteien und in Netzwerken der „Neuen Rechte“ ihre politische Heimat. 

Aktionen der „Lebensschützer*innen“

Um passende Strategien im Umgang mit Antifeminismus in der Schwangerenkonfliktberatung zu entwickeln, ist es unter anderem wichtig zu wissen, wie genau die Aktionen von „Lebensschützer*innen“ aussehen. Die „Lebensschützer*innen“ betätigen sich derzeit in fünf Aktionsfeldern:

1. Öffentlichkeitswirksame Aktionen

  • Demonstrationen der „Lebensschutz“-Bewegung, i.e. „Marsch für das Leben“: Z.B. Annaberg-Buchholz, Berlin, Münster
  • Mahnwachen bzw. „Gehsteig-Beratung“: Finden monatlich oder jährlich vor Kliniken statt, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. In der Szene kursiert die unrealistische Zahl von 1000 vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen pro Werktag in Deutschland – in Anlehnung daran werden bei den Mahnwachen 1000 Kreuze oder Babyschuhe ausgestellt. In anderen Fällen werden Embryobilder vor Arztpraxen gezeigt. Die Rechtsprechung dazu ist noch uneindeutig. Es gibt Urteile, wie in Freiburg, die diese „Beratung“ innerhalb einer „Bannmeile“ verboten haben, da sie das Persönlichkeitsrecht der angesprochenen Frauen* verletzt. Andere Urteile bewerten die „Gehsteig-Beratungen“ als Ausübung der Meinungsfreiheit - vor allem um das verfassungsrechtlich hochwertige Gut „Schutz des ungeborenen Lebens“ zu gewährleisten.  Häufig kommt es für die Rechtsprechung darauf an, wie aggressiv oder neutral die „Gehsteig-Beratung“ durchgeführt wird.

2. Gemeindearbeit

  • In evangelikalen Gemeinden werden z.B. Gedenkgottesdienste für abgetriebene Föten organisiert, oder ihnen ein Gedenkstein auf dem Friedhof gesetzt. Diese Aktionen finden halböffentlich und meist in ländlichen Regionen statt. Für Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen ist der Zugang aufgrund der Halböffentlichkeit hier erschwert.

3. Kampagnen und Lobbyarbeit

  • Gerade größere Vereine (wie ALfA e.V.) organisieren Unterschriftenkampagnen und Petitionen und setzen sich für eine Verschärfung bzw. verschärfte Auslegung der Schwangerschaftsabbruchregelungen ein. Aufgrund der verwendeten, anschlussfähigen Sprache ist nicht immer gleich erkennbar, dass Abtreibungsgegner*innen und (extrem) rechte Akteur*innen hinter den Kampagnen stecken.

4. Druck auf politische Gegner*innen

  • Die „Lebensschutz“-Bewegung übt Druck auf feministische Akteur*innen, auf Beratungsstellen und auf Ärzt*innen aus.

5.  Institutionalisierung eigener ‚Beratungsstellen’

  • Die Akteur*innen der „Lebensschutz“-Bewegung bieten eigene Beratungstätigkeiten an sowohl online (bspw. VitaL) als auch offline. Eine Teilnehmer*in des Workshops berichtet von ihrer Erfahrung, dass auch diese Beratung sehr professionalisiert geschieht. Sie gäben sich sehr verständnisvoll für den Wunsch bzw. die Unsicherheit von Schwangeren gegenüber einem Schwangerschaftsabbruch. Auch nach mehreren Beratungsterminen würden sie die Schwangere nicht explizit in eine Richtung drängen. Doch irgendwann sei die 12-Wochen-Frist für einen legalen Schwangerschaftsabbruch vorbei. Meist würden die Schwangeren nicht mehr begleitet, sobald sie ihre Entscheidung getroffen hätten. Dies spricht für ein instrumentelles Verhältnis der Beratungsstellen der „Lebensschutz“-Bewegung zu den Schwangeren.

Menschlich bleiben – Strategien im Umgang mit antifeministischen Angriffen auf Soziale Arbeit. Am 08.06.2017 fand die Tagung „Menschlich bleiben – antifeministische Angriffe auf die Soziale Arbeit“ des Gunda-Werner-Instituts in Kooperation mit der AWO statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden mehrere Tagungsberichte von Stipendiat*innen und Praktikant*innen der Heinrich-Böll-Stiftung verfasst.

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Anschließende Diskussion

Wir müssen uns fragen, welche die Einflussfaktoren sind, die Schwangere zu einer Entscheidung für die Austragung der Schwangerschaft oder für einen Schwangerschaftsabbruch bewegen. In der Beratungspraxis zeigt sich, dass hier der Umgang der Ärzt*innen mit den Frauen* von zentraler Bedeutung ist. Ärzt*innen sind für viele Frauen* weiterhin die „Göttinnen in weiß“, ihnen wird geglaubt und ihren Aussagen wird zentrale Bedeutung zugemessen: „Die Ärztin meinte, es wäre in dieser Situation echt doof, das Kind auszutragen“ oder „Die Ärztin hat gezeigt, dass das Herz schon schlägt“.

Für Ärzt*innen ist es nicht lukrativ, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Sie sind fast noch verletzbarer als Beratungsstellen, da für sie ihre Existenz von dem Praxisbetrieb abhängt. Zudem müssen sie damit rechnen von AbtreibungsgegnerInnen wegen angeblichem Verstoß gegen den §219a, der Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft verbietet, angezeigt zu werden. „LebensschützerInnen“ nutzen diesen Paragraphen, um die Zugänglichkeit zu Informationen über Abbrüche einzuschränken. Weil weniger Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, werden die Fahrtwege für Klient*innen immer länger. Zudem ist keine nachwachsende Gruppe von feministischen Ärzt*innen zu erwarten. Allerdings gibt es eine neue Gruppe an der Charité in Berlin: Medical Students for Choice.

Es ist weiterhin eine gesellschaftliche Aufgabe, das Recht auf Abtreibung zu erkämpfen. Wir als feministische Akteur*innen müssen aus der Defensive kommen!

Die Schwangeren führen oft selbst moralische Argumente ins Feld. Dies vermengt sich aktuell mit der Aufwertung von Föten in Aufklärungsbroschüren – Frauen* wird über die ausgewählten Bilder das Gefühl vermittelt, dass es schon ein vollständig lebensfähiges Kind ist. Im Vergleich zu früher sind Bilder von Föten heute bunt und stark vergrößert. Auf den Bildern ist nicht zu erkennen, ob der Fötus nun 5 oder 50 cm groß ist. Dies trifft u.a. auf Aufklärungsbroschüren der staatlichen Institution Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zu. In diesen Broschüren wird auch sprachlich nicht immer wertneutral gearbeitet (Bsp.: „dein Kind“).

Brainstorming: Gegenstrategien

1. Sensibilisieren für Darstellung und Sprache

  • BZgA und andere Institutionen für die Darstellung und Sprache in ihrem Material sensibilisieren. Auch wenn ihre Broschüren zum Großteil neutral gehalten sind, verstärken sie mit ihren Bildern moralisierende Argumente.

2. Wissen über die Gesetzestexte und ihre Entstehung verbreiten, sowie in die Ausbildung integrieren

  • Wenn über die Gesetzeslage im Rahmen von politischer Bildungsarbeit informiert wird, müsste die Entstehung des Gesetzes historisch kontextualisiert werden. In der DDR gab es ein sehr viel fortschrittlicheres Schwangerschaftsabbruchgesetz. Nach der Wende wurde die konservativste Variante der Gesetzesvorschläge beschlossen. Heute handelt es sich aus juristischer Perspektive um einen Normkonflikt, der nicht durch Strafgesetze geregelt werden sollte.
  • Es müsste zudem eine neue gesellschaftliche Debatte initiiert werden, die auch Argumente jenseits von Ethik und Medizin einbindet. Gerade (jüngere) Politiker*innen müssen über das Gesetz und dessen Entstehung besser Bescheid wissen!
  • Für Berater*innen ist keine Ausbildung zu Schwangerschaftskonfliktberatung vorgesehen (zumindest in NRW). Dementsprechend wissen viele Berater*innen weder von der Geschichte der Paragraphen §218 und §219, noch von ihrem eigenen gesetzlichen Auftrag. Auch in dem Curriculum für Ärzt*innen ist keine Ausbildung zu Schwangerschaftsabbrüchen vorgeschrieben, weswegen sie die schonenden Methoden nicht lernen.

3. In der Beratungssituation: Hierarchien nivellieren und instrumentell mit den gesetzlichen Vorgaben umgehen

  • Die Beratungssituation ist aufgrund des Zwanges zur Beratung eine strukturell hierarchische Situation. Die Schwangerschaftskonfliktberatung ist für die Klient*in ein Kraftaufwand, teilweise eine Hürde vor dem Schwangerschaftsabbruch. Sie erwarten, dass sie alles Mögliche erzählen müssen und befürchten den benötigten Schein nur bei „richtigem“ Verhalten zu bekommen. Diese hierarchische Situation kann durch die Berater*in nivelliert werden, indem sie von Anfang an den Beratungsschein auf den Tisch legt und sagt: „Den nehmen Sie auf jeden Fall heute mit, egal wie viel und was Sie hier sagen wollen“. Das ist ein legales Vorgehen, dieses Wissen sollte unter Berater*innen weiterverbreitet werden.
  • Auch „Lebensschützer*innen“ kommen teilweise in Beratungsstellen vorbei und „kontrollieren“ die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben. Auch hier ist ein strategisch-instrumenteller Umgang mit diesen gesetzlichen Vorgaben möglich. Die Berater*in kann die Klient*in über das Prozedere informieren und dabei auch auf ihre Pflicht, den Fragenkatalog abzuarbeiten, hinweisen und darauf, dass der Klient*in daraus keine Pflicht zur Antwort erwächst.

4. Vernetzung zwischen Beratungsstellen und feministischen Aktivist*innen stärken

  • Die Vernetzung zwischen den Beratungsinstitutionen funktioniert teilweise gut. Für die Reaktion auf konkrete Aktionen der „Lebensschützer*innen“ wäre eine Vernetzung zwischen feministischen Akteur*innen und Beratungsinstitutionen sinnvoll. Diese ist bisher kaum vorhanden. Allerdings stehen in vielen Beratungsstellen kaum Ressourcen zur Vernetzung zur Verfügung.

4. Notfallplan bereithalten

  • Es ist sinnvoll, sich im Vorfeld Umgangsweisen mit einer Störaktion von „Lebensschützer*innen“ zu überlegen. Beispielsweise: Wie handele ich, wenn jemand die Beratungssituation stört? Wenn jemand Gewalt androht? Welche Anwält*in kann ich anrufen? Ist die Geschäftsleitung einverstanden, wenn ich die Polizei rufe?
  • Bei „Gehsteig-Beratung“: Möglichst die Aussagen und Tätigkeiten der „Lebensschützer*innen“ dokumentieren, da die Rechtsprechung noch so uneindeutig ist.