Dossier

Weg mit §218: Schwangerschaftsabbrüche legalisieren

Expert*innen mahnen die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland an. Der Gesetzgeber sollte dringend handeln, damit diese noch in der aktuellen Legislatur auf den Weg gebracht werden können.

Worum geht's?

Schwangerschaftsabbrüche sind auch im Jahr 2024 in Deutschland noch im Strafgesetzbuch geregelt. Das bedeutet, dass Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, sich strafbar machen. Momentan bleibt innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen ein Schwangerschaftsabbruch jedoch meist straffrei – unter der Voraussetzung, dass die schwangere Person eine Pflichtberatung wahrgenommen und eine dreitägige Wartefrist eingehalten hat. Damit sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland nicht rechtmäßig. Die Gesetzeslage stigmatisiert schwangere Menschen und all jene, die sie bei einem Abbruch unterstützen wollen.

Der UN-Frauenrechtsausschuss hat im Jahr 2023 Deutschland dazu aufgefordert, Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln. Denn  sexuelle und reproduktive Rechte sind ein Menschenrecht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits 2022 umfassende und richtungsweisende Empfehlungen herausgegeben und eine komplette Entkriminalisierung empfohlen.

In Deutschland kam 2021 durch den Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP frischer Wind in die Sache. So versprach der Koalitionsvertrag, eine Expert*innen-Kommission einzusetzen, die prüfen sollte, inwieweit Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland auch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden können. Die Ergebnisse liegen seit Mitte April 2024 vor: Eine Entkriminalisierung, zumindest in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen, sollte vom Gesetzgeber erlaubt werden.

Die Kommission „Zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“

Die Kommission...

... wurde im März 2023 von den Minister*innen Lisa Paus, Marco Buschmann und Karl Lauterbach eingesetzt. Sie bestand aus 18 Expert*innen aus den Bereichen Medizin, Rechtswissenschaften, Soziologie, Ethik und Medizinwissenschaften.

... teilte sich in zwei Gruppen. In der ersten Gruppe wurden die Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches geprüft. Die zweite Gruppe erarbeitete Empfehlungen für die Möglichkeiten einer Legalisierung von Eizellspende und Leihmutterschaft.

... hat auf Grundlage von Völkerrecht, Europa-Recht und den nationalen Gesetzgebungen anderer Länder einen Bericht erarbeitet und  empfiehlt Folgendes: Die Entscheidung über das Austragen einer Schwangerschaft betrifft maßgeblich die Würde, die Freiheit und Selbstbestimmung, die Persönlichkeitsentfaltung sowie die Gewissensfreiheit einer schwangeren Person.  Deswegen sollte der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der Schwangerschaft (bis zur zwölften Schwangerschaftswoche) frei von staatlichem Zwang, rechtmäßig und straffrei sein. Die Kriminalisierung von nicht selbstbestimmten und unsicheren Abbrüchen, z.B. gegen den Willen der Schwangeren durch Dritte, sollen weiterhin strafverfolgt werden.

... gibt dem Gesetzgeber viel Gestaltungsspielraum, um auch Schwangerschaftsabbrüche in der mittleren Phase der Schwangerschaft außerhalb des Strafgesetzbuches zu erlauben. In der Spätphase, so die Kommission, sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich nicht erlauben, kann aber Ausnahmen rechtmäßig und straffrei vorsehen.

... gibt keine abschließende Empfehlung hinsichtlich der Beratung. Diese ist in Deutschland verpflichtend, um einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen straffrei durchführen zu dürfen. Die Kommission schreibt: „Soweit der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch rechtmäßig stellt, darf er eine Beratungspflicht für die Frau mit oder ohne Wartezeit vorsehen, muss dies aber nicht."

... empfiehlt eine Übernahme der Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen, sollte der Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen rechtmäßig und straffrei werden. Auch findet sich eine deutliche Empfehlung, den „kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln auch nach dem Ende des 22. Lebensjahres zu ermöglichen.“

Abschlussbericht zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin

BPK: Abschlussbericht zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin | 15.04.24 - phoenix

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Reproduktive Selbstbestimmung: Statements von Lauterbach, Buschmann und Paus

Reproduktive Selbstbestimmung: Statements von Lauterbach, Buschmann und Paus - phoenix

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Was ist die ELSA-Studie?

Ein Forschungsverbund von sechs Universitäten und Fachhochschulen erforscht „die sozialen und gesundheitlichen Belastungen und Ressourcen von Frauen, die ungewollt schwanger sind und diese Schwangerschaft austragen oder abbrechen.“ Ziel ist es, Erkenntnisse darüber „zu gewinnen sowie zu ergründen, wie die Unterstützung und Versorgung, die sie erfahren, die Verarbeitungsprozesse befördern oder erschweren.“

Die Ergebnisse der Studie werden erst im Herbst 2024 veröffentlicht, die Projekte laufen noch. Dennoch wurden bereits am 10. April 2024 in einer Online-Veranstaltung die wichtigsten Erkenntnisse vorgestellt.

Die wichtigsten Erkenntnisse der ELSA-Studie:

  • Ungewollt schwangere Personen, die einen Abbruch in Erwägung ziehen, fühlen sich in vielen Situationen stigmatisiert und nicht angemessen mit Informationen versorgt.

  • Im Süden und Westen Deutschlands haben ungewollt schwangere Personen oft keinen angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung.

  • Personen, die einen Schwangerschaftsabbruch erlebt haben, bereuen diesen in der Regel nicht. Es geht ihnen ein Jahr nach dem Abbruch gesundheitlich und mental so gut wie jenen, die die Schwangerschaft ausgetragen haben.

  • Auch Ärzt*innen erleben Stigmatisierung, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen: 65 % haben diese bereits im privaten und öffentlichen Umfeld erlebt.

Interview mit Alicia Baier und Taleo Stüwe

'Die Regierung hat einen klaren Handlungsauftrag bekommen: Legalisiert den Schwangerschaftsabbruch'

Die von der Bundesregierung eingesetzte Expert*innen-Kommission spricht sich dafür aus, den § 218 zu streichen. Was folgt daraus?

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Artikel zum Thema Schwangerschaftsabbrüche
Schwerpunkt der Antifeminismus begegnen-Mediathek

Abtreibungsgegner*innen und ihr Einfluss auf Politik, Gesetze und (ungewollt) Schwangere

Verschiedene Medien zum Lesen, Hören und Anschauen zum Thema, auch im internationalen Kontext.

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